Für den Bürgerkrieg beurlaubt

Eine Reise von Split zum Kampfgebiet an der bosnischen Grenze/ Kroatische Verbände sind zum Gegenangriff übergegangen/ Wie vorher die Serben „säubern“ jetzt die Kroaten die Gegend  ■ Aus Split Erich Rathfelder

„Die Schüsse gegen die Friedensdemonstranten in Sarajevo zeigen nicht nur die Grausamkeit und Dummheit von irgendwelchen Tschetniks an“, sagt Frankie, „sie bedeuten auch die Herrschaft des ländlichen Denkens über die Stadt.“ Frankie ist ein überzeugter, einer, der in Split als Lebemann bekannt geworden ist. „Gut leben und keine Politik“, lautete seine Devise. Doch jetzt ist der Mann mit den dunkel gewellten Haaren und dem gepflegten Schnurrbart müde und resigniert. Obwohl er sich als „extremer Individualist“ sieht, fühlt er sich doch auch als ein „typisches Exemplar“ der Küstenbewohner. Er spricht sieben Sprachen, ist weitgereist, weltoffen und liberal. Und nichts geht ihm mehr gegen den Strich, als die Borniertheit und Intoleranz von Menschen, die dieser Tage über sein Leben bestimmen.

Auf dem Weg ins Kampfgebiet

Denn auch Split, die Hafenstadt mit Handel und bunter Völkermixtur, ist vom Krieg eingeschlossen. Im Süden belagern die serbischen Freischärler und die jugoslawische Bundesarmee die Schwesterstadt Dubrovnik. Im Norden, bei Zadar, ist der von Kroaten gehaltene Küstenstreifen auf drei Kilometer Durchmesser geschrumpft. Und jetzt ist auch noch der Krieg im Rücken der Stadt voll entbrannt. „Von dort oben, von den Bergen, wurden wir über Jahrhunderte immer wieder bedroht“, sagt Frankie.

Der Küstenstreifen ist schmal und steil. In Serpentinen führt die Straße nach oben an die Grenze Bosniens, in Richtung einer vor allem von Kroaten bewohnten Region, nach Livno, Tomislavgrad und Kupres. Auf dem Hochplateau ducken sich einige Dörfchen zwischen steinigen Äckern. Nach 90 Kilometern und zwei weiteren schneebedeckten Bergketten öffnet sich erneut eine Hochebene. Schwerbewaffnete kroatische Uniformierte kontrollieren Papiere und durchsuchen das Gepäck.

„Das ist ein eigener Menschenschlag hier oben in den Bergen. Die möchte ich nicht zum Feind haben“, schmunzelt Zeljko, ein Fotograf der dalmatinischen Tageszeitung 'Slobodna Dalmacija‘. „Die kämpfen um ihr Land und ihre Existenz. Hier wurde ich noch vor ein paar Tagen von Tschetniks beschossen.“ Tomislavgrad liegt bereits im Kampfgebiet. Hier sind die kroatischen Streitkräfte konzentriert. Und von hier aus gelang es ihnen vorgestern, die strategisch wichtige schon im Zweiten Weltkrieg heftig umkämpfte Paßstraße vor Kupres freizukämpfen, die strategisch höchst wichtig ist. Wer den Paß beherrscht, kontrolliert die gesamte Region. Vor dem Hauptquartier der Armee stehen Autos mit deutschen Nummernschilder. „Gastarbeiter“, bedeutet Zeljko. Die Gegend ist karg und arm. Die meisten Männer mußten emigrieren. „Da oben ist mein Haus. Ich bin zurückgekommen, um es zu verteidigen“, erklärt ein kriegsmäßig ausgerüsteter Mann. „Meine Firma hat mir freigegeben.“ Über den Berghang ziehen sich Reihen neugebauter Häuser. „Alles Gastarbeiter, und alle sind zurückgekommen, um das Dorf gegen die Serben zu schützen.“ Seine Stimme und seine Haltung sind entschlossen geworden. „Wir kämpfen um die Zukunft unserer Kinder. Mit Serben wollen wir nichts zu tun haben.“

Wir bekommen die Erlaubnis zur Fahrt an die Front. Vor sechs Tagen waren die Kämpfe entbrannt, als in dem vornehmlich serbischen Dorf Malovan serbische Bewaffnete eine Kontrollstelle errichteten und damit Kupres abzuschneiden drohten. Wie bei den Kroaten auch, sind in serbischen Dörfern die Männer uniformiert und schwerbewaffnet. „Der Kampf lag aber schon vorher in der Luft“, erklärt ein Begleiter. „Kupres ist eine gemischte Stadt. Als die Serben begannen, ihre Frauen und Kinder zu evakuieren, haben wir das auch gemacht.“ Fortan standen sich nur noch die bewaffneten Männer gegenüber. Vorgestern fiel nach hartem Kampf die Entscheidung. Der Angriff der Bundesramee vom Paß aus wurde zurückgeschlagen. Zwei Flugzeuge der Luftwaffe wurden abgeschossen. Über die Toten macht unser Begleiter keine Angaben. Aber: „Das Dorf Malovan gibt es nicht mehr.“ Kurz vor Malovan werden wir von der Polizei nach Tomislavgrad zurückgeschickt. Es wäre ein Fehler gewesen, Journalisten, dazu noch Ausländer, so weit nach vorn zu lassen, erklärt ein Offizier. Die Sicherheit ginge vor.

Handelt es sich bei seinen Truppen wirklich ausschließlich um Heimwehren, oder sind auch reguläre Offiziere und Mannschaften aus Kroatien hier beteiligt? Wenn nämlich die kroatische Armee in Bosnien aktiv geworden ist, dann wäre das 15. Waffenstillstandsabkommen gebrochen. Ist die Geheimhaltung angeordnet, weil hier trotz des Einsatzes von UN-Friedenstruppen in anderen Teilen des Landes in Tomislavgrad erstmals reguläre kroatische Truppen in die bosnischen Kämpfe eingegriffen haben? „Schauen Sie! Die Leute sind alle von hier“, beteuert der Offizier.

Plötzlich heult die Sirene auf. Luftalarm. Wir werden in einen Luftschutzbunker geführt, wo sich einige Dutzend Uniformierte versammelt haben. „Die meisten Waffen mußten wir selbst kaufen“, sagt einer und deutet auf seine Maschinenpistole jugoslawischer Produktion. „Doch vor den Panzern haben wir keine Angst. Wir haben jetzt panzerbrechende Waffen aus Deutschland“, flüstert er augenzwinkernd.

Kein Wort zu eigenen Verlusten

Über den Kampf des vergangenen Tages will er nichts verraten. Auch andere winken bei der Frage ab. Selbst über die eigenen Verluste wird geschwiegen. Nur eines wird klar: Ein Teil der Gegend ist nun von „Tschetniks gesäubert“; irgendwann wird man die Leichen in den Gräbern aufgeschichtet finden.

Die Flugzeuge sind vorbeigeflogen und haben ihre Last auf die nahegelegenen und noch immer umkämpften Dörfer Zloselo und Rastićevo abgeladen. In Split wartet Frankie mit seinen Freunden. „Ciscenje“ sei ein militärischer Begriff und heiße „aufräumen, säubern“, werde ich aufgeklärt. Überall in Kroatien würden nun die serbischen Dörfer „gesäubert“.

Im Schatten des bosnischen Krieges sind die Serben Kroatiens unter bedrohlichen Druck geraten. Er selbst sei aus der Lika, dem Gebiet westlich von Rijeka und habe von seinem Bruder, der Mitglied der Armee ist, gehört, daß auch dort sehr bald „gesäubert wird“. „Die Serben haben es in den besetzten Gebieten gegenüber den Kroaten vorgemacht, der Verbrecher Captain Dragan ist dabei, in Bjeljina die Muslimanen auszutreiben, doch hier in der Stadt darf dies niemals passieren, die Brutalität der Landbevölkerung darf sich hier nicht durchsetzen.“ Frankie, der Lebenskünstler, wirkt ungewohnt entschlossen. „Vielleicht bleibt nur dies, daß wir Dalmatiner uns von Kroatien trennen müssen.“