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Bosnien zerfällt nach Anerkennung

■ Serben rufen ihre „Republik Bosnien-Herzegowina“ aus/ Sarajevo von Bundesarmee umstellt/ USA und Österreich erkennen die ursprüngliche Republik, Kroatien und Slowenien an

Sarajevo (afp) — Der Zerfall der jugoslawischen Vielvölkerrepublik Bosnien-Herzegowina ist nach der Abspaltung der Serben der Republik in der Nacht zum Dienstag nicht mehr aufzuhalten. Kurz nachdem die Europäische Gemeinschaft die Republik offiziell anerkannt hatte, erklärten die Serben in Bosnien ihre Unabhängigkeit und beanspruchten zwei Drittel des Territoriums für ihre einseitig ausgerufene „serbische Republik Bosnien-Herzegowina“. Die serbischen Vertreter im bosnischen Staatspräsidium traten zurück. Unterdessen dauerte der Bürgerkrieg zwischen Moslems, Kroaten und Serben an, bei dem in den vergangenen Wochen zwischen 200 und 300 Menschen getötet wurden. In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo waren am Dienstag immer wieder Schüsse zu hören. Die Stadt war nach den blutigen Auseinandersetzungen vom Sonntag und Montag wie ausgestorben. Auch in Kroatien gingen die Kämpfe weiter. Die USA kündigten unterdessen an, sie wollten Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina anerkennen. Die Serben in Bosnien-Herzegowina erklärten am Dienstag die Unabhängigkeit ihrer einseitig ausgerufenen „serbischen Republik Bosnien-Herzegowina“.

Schießereien in Sarajevo

Einen entsprechenden Beschluß faßte nach Angaben der Belgrader Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ das „Parlament des serbischen Volkes“ in Banja Luka, 200 Kilometer nordöstlich von Sarajevo. Der Präsident dieses „Parlaments“, Momcilo Krajisnik, teilte mit, die beiden serbischen Mitglieder des bosnischen Präsidiums, Biljana Plavic und Nikola Koljevic, seien zurückgetreten. Dem bosnischen Präsidium gehörten damit nur noch drei moslemische und zwei kroatische Vertreter an. Der Führer der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), Radovan Karadzic, hatte in der vergangenen Woche angekündigt, die „serbische Republik Bosnien-Herzegowina“ werde ihre Unabhängigkeit erklären, wenn die EG Bosnien als unabhängigen Staat anerkenne. Am Montag hatten die EG-Außenminister in Luxemburg die Anerkennung Bosniens mit Wirkung zum Dienstag beschlossen. Unter den 4,3 Millionen Einwohnern Bosniens befinden sich 43,7 Prozent Moslems, 31,4 Prozent Serben und 17,4 Prozent Kroaten.

In Sarajevo wurden in der Nacht zum Dienstag nach Angaben von Radio Sarajevo bei sporadischen Schußwechseln mindestens zwei Menschen getötet und 14 weitere verletzt. Nach blutigen Auseinandersetzungen zwischen serbischen Freischärler-Milizen und der bosnischen Polizei war am Montag abend im Rahmen des Ausnahmezustands eine Ausgangssperre verfügt worden. Zahlreiche Geschäfte wurden in der Nacht geplündert. Die bosnische Hauptstadt wirkte am Dienstag wie ausgestorben, obwohl die Bevölkerung im Rundfunk aufgerufen wurde, zur Arbeit zu gehen. Die jugoslawische Bundesarmee hatte Sarajevo in der Nacht offenbar eingekreist. General Milutin Kubanjac erklärte im Rundfunk, die Armee habe „an mehreren Stellen rund um Sarajevo Position bezogen“. Für die gesamte westliche Herzegowina, die mehrheitlich von Kroaten bewohnt wird, wurde am Dienstag Luftalarm gegeben. Die kroatische Agentur 'HINA‘ hatte gemeldet, vom serbischen Nis aus seien 50 jugoslawische Kampfflugzeuge aufgestiegen. Bei Bombardements der Bundesarmee auf die kroatischen Dörfer Siroki Brijeg und Citluk bei Mostar im Süden Bosniens wurden am Dienstag morgen fünf Menschen getötet. Der Rundfunk von Sarajevo meldete heftige Kämpfe aus der Gegend von Mostar, dessen Militärflughafen seit 24 Stunden von kroatischen Einheiten beschossen worden sei. Das örtliche Oberkommando der Bundesarmee meldete, die ultranationalistische Miliz der Kroatischen Partei des Rechts (HOS) habe eine Kaserne der Bundesarmee bei Mostar in der Nacht mit Mörsern beschossen.

Weitere Anerkennungen

Die Regierung von Österreich folgte am Dienstag dem Beispiel der Europäischen Gemeinschaft zur Anerkennung Bosniens. Bundeskanzler Franz Vranitzky gab die Entscheidung nach einer Kabinettssitzung in Wien bekannt. Die Vereinigten Staaten wollen nun ebenfalls Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina anerkennen. Dies gab US-Außenminister James Baker am Dienstag bekannt. „Die Vereinigten Staaten werden drei neue jugoslawische Staaten anerkennen“, sagte Baker auf einer per Satellit in mehrere Orte der Welt übertragenen Pressekonferenz. Er nannte nicht die Namen der anzuerkennenden Republiken, sagte aber, die US-Entscheidung erfolge in Abstimmung mit der Europäischen Gemeinschaft. Die Anerkennung solle noch am Dienstag erfolgen, sagte Baker.

Unterdessen führten die anhaltenden Verletzungen des Waffenstillstands in Kroatien offenbar zur Entlassung zweier hochrangiger Militärs. Die 'Tanjug‘ berichtete am Dienstag, Präsident Tudjman habe den Verantwortlichen der Militärzone von Osijek, General Karlo Gorinsek, und den Chef des dortigen Generalstabs, Franjo Kovacevic, entlassen. Die Entlassungen seien mit Machtmißbrauch und Befehlsverweigerung begründet worden. General Josip Lucic sei zum neuen Oberkommandierenden in Osijek ernannt worden. Tudjman hatte am Montag angekündigt, die Verantwortlichen für Verletzungen des Waffenstillstands vom 3. Januar sollten entlassen werden. Die Bundesarmee tötete nach Angaben des kroatischen Rundfunks in der Nacht zum Dienstag bei Artillerieangriffen auf Osijek zwei Menschen. Weitere Angriffe meldeten die kroatischen Medien aus der Umgebung von Gospic, 200 Kilometer südlich von Zagreb, Sisak, 60 Kilometer südöstlich von Zagreb, Novska, 100 Kilometer östlich von Zagreb, und Daruvar, 150 Kilometer östlich von Zagreb.

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