: Ein fliehendes Schwein zum Tanze
Köhlemeiers klassisch-moderne Fabel über haltlose Geschöpfe ■ Von Hubert Spiegel
Belladonna ist ein schlaues Schwein. Das schlaueste Schwein von allen und so klug, daß ihr keines der anderen Schweine glaubt, als sie alle zusammen mit dem Lastwagen zum Güterbahnhof gebracht werden.
Wenn ein Schwein einen Ausflug unternimmt, endet der meistens im Schlachthof. Das weiß jeder, aber kein Schwein. Belladonna ahnt es und flieht. Belladonna will leben und zu Tanze gehen.
Der Weg zum Tanze ist weit und gefährlich. Er birgt Hindernisse und Gefahren, aber unterwegs trifft Belladonna auf Gefährten, die auch gern tanzen möchten und sich ihr anschließen.
Es sind haltlose Geschöpfe wie der Hund, der nichts so sehr braucht wie einen Herrn und sich auch nicht darum schert, wenn sein Herr ein Schwein ist. Liebenswerte, aber hilflose Freunde wie der Hase, der auch im Anblick des Todes vom Ernst des Lebens nichts begreift. Gefährliche Gegner wie der Wolf, der nur ein Gesetz kennt und alle anderen bricht.
Der gefährlichste Feind aber ist der falsche Freund. Für diese Erkenntnis ist das kluge Schwein jedoch nicht klug genug.
Belladonna ist dem Schlachthof entkommen, dem hinterhältigen Bären und ihrer Bestimmung entgeht sie nicht: Sie wird gefressen. Ihr Wunsch nach dem Tanze bleibt unerfüllt, aber ihre Sehnsucht hat sie ihren Begleitern in die Herzen gelegt. Sie alle wollen noch immer zu Tanze gehen, aber fortan ist der Tod der Tanzmeister, und der lehrt bekanntlich nur einen einzigen Tanz.
Am Ende hat nur einer überlebt, der niemandes Freund und niemandes Feind und als einziger zu sterben bereit war: Es ist der kleine Fuchs mit dem kleinen gebrochenen Herzen.
Wie das Schwein zu Tanze ging ist eine Fabel, die der Österreicher Michael Köhlmeier einem sibirischen Märchen nachempfunden hat. Köhlmeier erzählt die Geschichte vom Fressen und Gefressenwerden auf faszinierende, aber auch beklemmende Weise neu. Sie berichtet von einer Gemeinschaft, die aufgebrochen war, einem Traum zu folgen.
Die Vision des Schweins von einem besseren Leben, in dem getanzt und gelacht wird, endet in Mißtrauen und Betrug, Verrat und Mord. Der Traum führt erst in eine Sackgasse und dann auf ein Schlachtfeld, auf dem die Diadochen einander zerfleischen. — Wenn man die deutlichen, aber nicht aufdringlichen Analogien zu den politischen Geschehnissen der jüngeren Vergangenheit in Betracht zieht, klingt die Moral von der Geschicht' wie eine rabenschwarze Absage an die Utopie schlechthin: Wo getanzt wird, so scheint Köhlmeier sagen zu wollen, gibt es Tote.
Aber man kann die Fabel auch weniger gegenwartsbezogen als zeitlosen Kommentar zur Conditio Humana lesen. Die Geschichte wird erzählt, wie es einer Fabel zukommt: klar im Aufbau, sparsam in den erzählerischen Mitteln, aber präzise in ihrer Verwendung. Kein schiefes Bild, kein falscher Ton trübt hier das Lesevergnügen, und die Spannung reißt bis zum Ende nicht ab.
Köhlmeier beweist in seinem neuen Buch einmal mehr seine Vorliebe für die großen, die moralischen Themen. Aber wie schon in seinem eindrucksvollen Roman Die Musterschüler verhandelt er auch in der Fabel Recht und Unrecht, Moral und Unmoral auf eine Weise, die den Leser nicht ermüdet, sondern fesselt. Köhlmeier belehrt nicht, er bevormundet nicht, und er ergreift nicht Partei. Am Ende läßt der Autor zwar den Fuchs und mit ihm die Klugheit triumphieren, aber es ist kein Sieg in Unschuld. Denn Köhlmeier ist nicht nur Moralist, er ist auch Realist. Und als solcher weiß er, daß der Klügste nicht immer auch der Beste ist und der Beste nicht immer auch der Sieger.
Michael Köhlmeier: Wie das Schwein zu Tanze ging. Eine Fabel. Piper Verlag, München. 127 Seiten, gebunden, 26 Mark.
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