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Der alte Drill

■ Rapport zur „Lebenskontrolle“ / Bericht aus der JVA Brandenburg

Zunächst möchte ich mich mal vorstellen. Ich bin der K. W., bin 29 Uhre jung und befinde mich zur Zeit in der JVA Brandenburg. Ich muß dazu sagen, daß ich aus West-Berlin komme und von Tegel hierher verlegt wurde.

Der Grund, warum ich euch schreibe, ist, weil wir, ich und mein Zellengenosse W. F., der bereits seit 15 Jahren hier in Brandenburg ist, wirklich absurdes hier erlebt haben. Zum Beispiel, daß man hier den Kinosaal mal schnell als Gerichtssaal umfunktioniert hatte und W. F., der vier Ausreiseanträge zu laufen hatte, mal schnell zu 3 1/2 Jahren wegen angeblicher Meuterei verurteilt wurde. Daß dies ein politisches Urteil war, daran dürfte kein Zweifel bestehen. Denn offiziell hat er sechs Monate wegen Meuterei bekommen und drei Jahre auf einen Paragrafen, der sich hier nur Paragraf 44 nennt.

Und was den militärischen Touch angeht, der herrscht hier immer noch. Als Beispiel von vielen kann man die sogenannte „Lebendkontrolle“ nehmen, die laut Strafvollzugsgesetz nur bei Menschen angewendet werden soll, die als suizid- gefährdet angesehen werden. Nun findet diese Lebendkontrolle aber nicht wie in allen Knästen üblich statt. Oh nein, hier mußt du um 5 Uhr 30 angezogen stehen und melden, daß alles in Ordnung ist. Es wurde uns gesagt, daß dies eine Form der Höflichkeit ist. Allerdings ein „Guten Morgen“ kennt man hier nicht. Also ist die Höflichkeit wohl etwas einseitig. Und das Kurioseste an dieser Sache ist, daß man sogar dafür bestraft wird, wenn man morgens nicht steht. Das findet man in keinem Strafvollzugsgesetz, daß der Gefangene morgens um 5 Uhr 30 an der Tür zu stehen hat. Also sind Bestrafungen für diese Sache gar nicht rechtmäßig. Eher im Gegenteil, denn man könnte dies auch als Nötigung betrachten.

Außerdem gibt es da noch etwas, was dieser angeblichen Lebenskontrolle total widerspricht. Hier im Haus I wird nur Verwahrvollzug praktiziert, das heißt 23 Stunden unter Verschluß. So, und jetzt kommt es: Wnn sich nun mal jemand in seiner Zelle verletzt oder jemand einen Infarkt kriegt, so kann man fast davon ausgehen, daß er kaum Überlebenschancen hat. Besonders was einen Herzinfarkt angeht. Denn wir haben hier keine Möglichkeit, ein Notsignal zu drücken. Und warum nicht? Weil es nicht in einer einzigen Zelle irgendeine Art von Notsignal gibt, um sich bemerkbar zu machen. Man hat höchstens die Möglichkeit, gegen die Tür zu treten, und selbst dann muß der Beamte erstmal suchen, woher die Geräusche kommen. Und kannst du mir mal sagen, wie jemand mit einem Herzinfarkt noch in der Lage sein soll, zu klopfen?! (...) K. W., JVA Brandenburg

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