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Ein aufregendes Miteinander

■ Premiere: Giuseppe Verdis „Macht des Schicksals“ / Marcello Viotti: ein Könner im italienischen Fach

Eins ist klar: beim Wort darf man nicht nehmen, was Librettist Francesco Maria Piave in der Vorlage Don Angel Saavedras zum Thema „schicksalhafte Verkettung unglücklicher Umstände“ gefunden hat. Warum ausgerechnet so? Diese Frage durchzieht die Handlung, vom unmöglich erscheinenden Pistolenschuß bis zum wundersamen Zusammentreffen der drei Hauptakteure auf einer einsamen Waldlichtung. Auch wenn das Regietheater immer häufiger für tot erklärt wird, hier ist es gefordert. Hier muß es übersetzen, damit die Musik nicht von der verquasten Geschichte erschlagen wird.

Regisseur Helmut Polixa nähert sich der Abstraktion des Einzelschicksals, der Anklage von Standesdünkel und Kriegsverherrlichung auf einem schmalen Grad zwischen geschichtsloser Allgemeingültigkeit und bildhafter Textauslegung. Daß die Flucht aus dem väterlichen Schloß scheitern muß, daß Konventionen nicht so leicht über Bord zu werfen sind, wird doch schon in dem Moment klar, wo Leonoras Kammerzofe (Christiane Wiedebusch) sich anschickt, das silberne Eßbesteck fein säuberlich zu verpacken — man will es schließlich ein bißchen gemütlich haben unterwegs! Die Liebenden werden auf der Flucht getrennt, und Leonora, von Kathleen McCalla stimmgewaltig und ausdrucksstark dargestellt, sieht keinen anderen Ausweg, als sich in Gott einen neuen Vater zu suchen. Er tritt ihr in Gestalt von Pater Guardian (Herbert Eckhoff) entgegen, und der gleicht — oh Wunder — ihrem Vater aufs Haar. So wird es zwingend, daß der Schatten des Vaters, den Leonora im 2.Akt heraufbeschwört, bereits in der Ouvertüre übermächtig wird.

Warum aber muß Leonoras sinnbildlicher Schiffbruch mit einem zerborstenen Schiffsrumpf plakatiert werden? Ebenso geht es mit dem Schwert, das glühend und blutbefleckt immer gerade dann niederfährt, wenn Leonora bedroht ist. Plakativ gewiß, aber optisch ungeheuer reizvoll!

Schwerer wiegt der Regieeinfall, vier Tänzer in der Gestalt der Hauptakteure in das Spiel einzufügen. Das Konzept geht dann auf, wenn hinter dem Text Stehendes tatsächlich bildhaft wird — etwa Leonora, die zwischen Bruder und Liebhaber hin- und hergerissen ist. Es wird dann aber fragwürdig, wenn sich das Hauen und Stechen auf der Bühne lediglich verdoppelt. Geglückt ist dagegen die Figur des 4. Tänzers, der als Tod das Volk aufmischt. Folgerichtig rührt er die Trommel zum Rataplan, zum feurigen Paradestück des Chores, das von Theo Wiedebusch bestens einstudiert war.

Das Philharmonische Staatsorchester war manchmal nicht wiederzuerkennen, so aufmerksam und wendig ließ es sich von Marcello Viotti führen. Ein Lob gebührt allen voran den Holzbläsern, die nicht nur aufmerksam waren (die beiden Flöten im 3. Akt), sondern dem belcanto der Sänger nichts schuldig blieben (Klarinette!). Winzige Phrasierungsnuancen stauten die Spannung auf kleinstem Raum, zur Entladung genügte ein Loslassen. Das ermöglichte ein aufregendes Miteinander von Sängern und Orchester, getragen vom Vertrauen in Viottis blitzschnelle Reaktion auf kleine sängerische Eskapaden. Einzig Preziosillas (Ildiko Komlosi) säbelrasselndes „Es lebe der Krieg“ zu Beginn des 2. Aktes geriet ein wenig aus dem Lot, was aber den unbeugsamen Charakter der Marketenderin und Wahrsagerin nur unterstreichen konnte.

Ausdrucksstark, wenn auch nicht ganz so stimmschön wie seine Partnerin Kathleen McCalla, verkörperte Mihai Zamfir die Rolle des unerwünschten Schwiegersohns Don Alvaro. Ron Peos leicht metallische Stimme gab den kalten Rachegelüsten des Don Carlos di Vargas, Leonoras Bruder, bohrende Schärfe. Von Anthony Baldwin als Fra Melitone hätte man gerne mehr gehört, schade, daß sein letzter Auftritt im 4. Akt stark zusammengestrichen war. Und wenn nun an dieser Stelle keine weiteren Mitwirkenden genannt werden, so liegt es an der Macht des Rotstiftes. Imke Turner

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