: Verbrechen nicht gleichsetzen, aller Opfer gedenken
Überlebende des KZ Buchenwald erinnerten am 47. Jahrestag der Befreiung an Naziterror/ Nationalsozialismus und Stalinismus nicht gleichsetzen/ Auch an sowjetische Internierungslager soll erinnert werden/ Umsetzung der Pläne dauert ■ Von Bettina Markmeyer
Weimar (taz) — Sechs Jahre war er in Buchenwald, er hat überlebt. Seine Kameraden und er haben Widerstand geleistet, am 11. April 1945 haben sie das Lager selbst befreit. Sein Leben lang hat sich der alte Mann aus Österreich zum Kampf gegen den Faschismus bekannt, immer wieder ist er — wie heute mit seiner Frau — nach Buchenwald gekommen, um seine einstigen Leidensgefährten und Kameraden zu treffen, zum Gedenken und um den Schwur von Buchenwald zu erneuern. Dies ist sein Buchenwald. Von niemandem, schon gar nicht von einem dreißig Jahre jüngeren deutschen Historiker, läßt er, der Alte, sich sagen, daß es auch ein anderes Buchenwald gab. Daß der kommunistische Widerstand im Lager andere Häftlingsgruppen ausgeschlossen habe, daß die Widerstandsgruppen von Spitzeln durchsetzt gewesen sein sollen, daß nach der Befreiung das sozialistische Staatsgedenken die Erinnerung an die Hölle von Buchenwald immer mehr auf die antifaschistischen Kämpfer im Lager verengt und alle anderen Opfergruppen systematisch ausgeblendet habe. Die Diskussion in der Vormittagssonne am Lagertor von Buchenwald mit seinem zynischen, von innen zu lesenden „Jedem das Seine“, ist heftig und lautstark.
Streit zwischen Opfern und Historikern
Denn vor allem will der alte Mann aus Österreich, der heute, 47 Jahre nach der Befreiung des Lagers, wieder auf dem ehemaligen Appellplatz steht, nicht erinnert werden an das „Speziallager Nr. 2“, das das NKWD der Sowjets (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) bereits vier Wochen nach der Befreiung auf dem KZ-Gelände einrichtete. Von 1945 bis 1950 waren hier große und kleine Nazis, Schuldige, aber auch Unschuldige, Jugendliche, wahllos Verhaftete und die große Gruppe der Sozialdemokraten interniert, die teilweise schon unter den Nazis im KZ gesessen hatten. 10.000 Menschen starben an Hunger, Seuchen und Krankheiten. Er bedauere, sagt der Österreicher, daß die Sowjets auch Unschuldige eingesperrt hätten. Aber in Buchenwald müsse an den Naziterror erinnert werden und an nichts sonst. „Verzeihung, aber Sie sind ein Stalinist“, erregt sich der Deutsche daraufhin. „Und Sie“, gibt der Österreicher zurück: „Sie san an Trottel.“
Dieselbe Konfrontation bestimmte am Abend zuvor im Weimarer Jugendclub eine gut besuchte Podiumsdiskussion zwischen Historikern, Vertretern des Internationalen Lagerkomitees Buchenwald Dora (IKBD) und dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose. Andreas Nachama vom Zentralrat der Juden in Deutschland war nicht gekommen, weil die Gedenkveranstaltungen am Sabbat stattfanden. Romani Rose fand die schärfsten Worte: „Wir lassen es nicht zu, daß die Opfer zwangsvereinigt werden.“ Dreizehn seiner Familienmitglieder seien in deutschen KZ ermordet worden: „An diesen Orten will ich mich nicht vor den Tätern verneigen!“ Ihre Angriffe richteten Rose und der Präsident des IKBD, Pierre Durand, in Weimar vor allem gegen Historikerkommissionen zur Neugestaltung der Gedenkstätten. Die Kommissionen haben im Auftrag der jeweiligen Landesregierungen Empfehlungen erarbeitet, wie künftig der Opfer des Nationalsozialismus gedacht werden kann. Zwei Fragen sind wesentlich: Wie kann die Erinnerung an die Opfer der sowjetischen Internierungslager auf einstigen KZ-Geländen einbezogen werden? Und wie sollen Gedenkstätten wie Buchenwald oder Sachsenhausen umgestaltet werden, die in der DDR für den von Staats wegen verordneten Antifaschismus funktionalisiert worden waren?
Die Vorschläge der Historiker sind weit differenzierter, als die Angriffe der Opferverbände vermuten lassen. Professor Wolfgang Wippermann von der Freien Universität Berlin, Mitglied der thüringischen Kommission, erläuterte die Empfehlungen für Buchenwald.
Keine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus
Zukünftig solle sowohl an das nationalsozialistische KZ als auch an das sowjetische Speziallager 2 erinnert werden. Der Schwerpunkt müsse aber eindeutig auf dem Konzentrationslager liegen, alle Opfergruppen seien zu berücksichtigen — im Gegensatz zur bisherigen Bevorzugung des kommunistischen Widerstands im Lager. Das Speziallager 2 sei demgegenüber nachgeordnet zu behandeln. Die Erinnerungsstätten müßten deutlich voneinander getrennt werden, denn die systematische Vernichtung von Menschen durch die Nazis sei mit nichts zu vergleichen.
Für die brandenburgischen Gedenkstätten, insbesondere Sachsenhausen, trug der Bochumer Historiker Bernd Faulenbach ähnliche Empfehlungen vor. Im Unterschied zu Buchenwald, wo Geschichtswissenschaftler und Mitarbeiter der Gedenkstätte gut zusammenarbeiten, hat der derzeitige Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen aber bereits eigenmächtig das Lagermuseum um eine Ausstellung über die NKWD- Opfer erweitert und bietet fragwürdige Broschüren an, in denen die Opfer des Sachsenhausener Internierungslagers nach 1945 mit denen des vorherigen Nazi-KZ gleichgesetzt werden. Außerdem ließ er eine von Roma-Vertretern angebrachte Tafel zur Erinnerung an die Vernichtung von Roma und Sinti durch die Nazis wieder entfernen, wogegen Romani Rose in Weimar heftig protestierte.
Für solche Entgleisungen aber die Historiker verantwortlich zu machen, sei falsch, betonte der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Thomas Hofmann, der die Diskussion in Weimar leitete. Ihm kam die Auseinandersetzung an diesem Abend „gespenstisch“ vor, prallten doch Opfer-Vertreter und Historiker sozusagen stellvertretend und unnötig heftig aufeinander — wie übrigens zuletzt im März auf einer ähnlichen Veranstaltung in Potsdam — obwohl die Historiker immer wieder deutlich machten, daß es niemals eine „Gleichsetzung“ von NS-Verbrechen und stalinistischen Verbrechen geben dürfe.
Neugestaltung der Gedenkstätte Buchenwald
Hofmann hätte statt derart kontrovers lieber konkret diskutiert, wie nun die unbestritten notwendigen Veränderungen der Gedenkstätte Buchenwald zu bewerkstelligen seien. Da die Gedenkstätte zur Hälfte vom Bund finanziert wird, hat ihr Leiter derzeit keine finanziellen Sorgen, wohl aber Probleme, die inzwischen auch vom thüringischen Wissenschaftsministerium akzeptierten Empfehlungen der Historikerkommission umzusetzen. Noch immer präsentiert sich die Gedenkstätte im alten DDR-Stil. Noch immer ist auch das Gräberfeld außerhalb des Lagerzauns, in dem die Opfer des NKWD- Lagers verscharrt wurden, nur provisorisch markiert. Eine völlig ungenügende Ausstellung über das Speziallager 2, die sich im ehemaligen Kammergebäude das Lagers befindet, müßte dringend überarbeitet werden, dazu müßte in sowjetischen Archiven geforscht werden. Die Historikerkommission empfiehlt zudem, die Ausstellung über das Speziallager 2 in einem eigenen Gebäude zu zeigen, das am Rande des Gräberfelds erst noch gebaut werden muß.
Bund der stalinistisch Verfolgten protestiert
Verständlich wiederum wird die Erregung der KZ-Überlebenden und ihrer Verbände aber, wenn man die Argumentation mancher Sowjet-Opfer hört. So hatten sich auch am Samstag in Buchenwald eine Handvoll Mitglieder des Bundes stalinistisch Verfolgter (BSV) eingefunden, die mit einem Transparent „1945-1950. Auch wir sind Opfer“ auf dem Lagergelände gegen die Gedenkveranstaltungen des IKBD protestierten. Während in der ehemaligen Häftlingskantine Anita Awosusi vom Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg einen Vortrag über die Vernichtung ihres Volkes in den Konzentrationslagern hielt, scheute sich draußen Wolfgang Fintzel vom BSV nicht, die Toten des sowjetischen Speziallagers 2 gegen die Toten im KZ Buchenwald aufzurechnen.
Auf der anschließenden Kundgebung am Glockenturm des Buchenwalder Mahnmals, zu der etwa 3.000 Menschen aus vielen Ländern, darunter auch aus Israel, gekommen waren, war denn auch von den BSV- Leuten nichts zu sehen. Aber auch die Ansprache des IKBD-Präsidenten Durand geriet erneut zu einer Manifestation des einen, traditionellen Buchenwald-Gedenkens: kein Wort über das Lager nach 1945. Und allen, die nunmehr eine differenziertere Geschichte von Buchenwald schreiben wollen, als sie zu DDR-Zeiten möglich war, drohte Durand: „Buchenwald ist weltweit zum Symbol geworden für das Leiden und unseren Kampf gegen den Faschismus. Wage es keiner, sich daran zu vergreifen!“
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