: Asyldebatte quer zu alten Fronten
■ CDU-Politiker denken über Einwanderung nach/ Kronawitter und Rappe (SPD) fordern Asylrechtsänderung
Frankfurt (ap/taz) — Nach den Verlusten der großen Parteien bei den jüngsten Landtagswahlen sind die Fronten im Streit um das Asylrecht spürbar in Bewegung geraten. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johannes Gerster, kündigte am Wochenende überraschend an, er wolle mit der SPD auch über ein Einwanderungsgesetz reden.
Gerster meinte am Samstag in einem Rundfunkinterview, nach einer Änderung des Asylrechts könne mit einer „begrenzten Einwanderung“ anderer Gruppen Menschen aus Bürgerkriegsregionen oder „Zweifelsfälle politischer Verfolgung“ aufgenommen werden. Mehr als die Hälfte aller Asylbewerber würde bei einer Grundgesetzänderung in einem stark verkürzten Verfahren abgelehnt.
Der bayerische Innenminister Edmund Stoiber (CSU) wies Gersters Vorschlag gestern allerdings scharf zurück. Es sei ein typischer Fehler der Union, jahrelang vertretene Positionen des Zeitgeists wegen aufzugeben. „Das ist der sichere Weg in die Dreißig-Prozent-Partei.“
Dagegen vertrat der sächsische Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) in der 'Bunten‘ die Auffassung, die ganze Asyldiskussion werde falsch geführt. In Wirklichkeit sei die richtige Frage, ob die Bundesrepublik ein Einwanderungsland sein solle oder nicht. Ohne Einwanderer komme Deutschland nicht mehr zurecht. Infolge des „Sterbeüberhangs“ sinke die Zahl der Deutschen zu Lasten des Sozialsystems pro Jahr um rund 100.000.
Auch der CDU-Politiker Geißler bekräftigte seinen Vorschlag für eine geregelte Zuwanderung und betonte, es müsse klar sein, daß das Problem der globalen Armutswanderung nicht allein mit einer Grundgesetzänderung gelöst werden könne. Auch in Zukunft würden die Deutschen nicht mehr unter sich sein, sondern sogar noch mit mehr Ausländern als bisher zusammenleben.
Unterdessen wächst in der SPD die parteiinterne Kritik an der Asylpolitik. Der Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter wiederholte in einem 'Spiegel‘-Beitrag seine Forderung nach einer Grundgesetzänderung und erhielt dabei Unterstützung vom SPD-Rechtsaußen, dem IG-Chemie-Vorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Hermann Rappe.
Kronawitter vertrat die Auffassung, die Landtagswahlen hätten bewiesen, daß die Sozialdemokraten ihre „selbstverordnete kollektive Denkblockade beim Asylmißbrauch“ schleunigst aufgeben müsse. Seine Partei solle sich „im Kampf gegen den Mißbrauch“ des Asylrechts an die Spitze stellen.
Bundesjustizministers Klaus Kinkel (FDP) sprach sich zwar einerseits gegen eine Grundgesetzänderung aus, sollte aber für eine europäische Lösung in der Asylfrage eine Änderung des Grundgesetzes nötig sein, werde die FDP sich ihr nicht verschließen. Er forderte CDU und SPD auf, am Allparteienkompromiß zum Thema Asyl festzuhalten.
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