: Mitterrand pokert mit EG-Verträgen
Das Parlament soll bis Sommer über Verfassungsänderungen entscheiden/ Erst danach beginnt die „Ratifizierungsdebatte“ ■ Aus Paris Bettina Kaps
Und seid ihr nicht willig, so brauch ich Gewalt. Kaum verhüllt klang diese Drohung durch die Erklärungen, die der französische Staatspräsident zur Ratifizierung der Verträge über die Europäische Union gab. In einem anderthalbstündigen Fernsehgespräch mit vier Star-JournalistInnen bekräftigte Mitterrand am Sonntag abend, daß er entschlossen sei, die erste Hürde — die notwendige Verfassungsänderung — vor der Sommerpause zu nehmen. Mitterrand, dessen Innen- und Außenpolitik selbst im eigenen Lager immer heftiger kritisiert wird, will offenbar am Beispiel Europa beweisen, daß Frankreich auch unter seiner Führung noch Lokomotive sein kann. Der neue Verfassungsentwurf soll am Monatsende stehen und bald darauf von beiden Kammern des Parlaments behandelt werden.
Drei Bestimmungen der Maastrichter Verträge stehen im Widerspruch zur französischen Verfassung: das Wahlrecht für EuropäerInnen bei Gemeindewahlen, das Aufgehen des Franc in einer europäischen Einheitswährung und die Übertragung der Visumpolitik an den EG-Ministerrat. Nationalversammlung und Senat müssen den Verfassungsentwurf zunächst in getrennten Sitzungen annehmen. Anschließend hat der Präsident die Wahl zwischen zwei Vorgehensweisen: Er kann den Verfassungsentwurf entweder dem zum Kongreß versammelten Parlament vorlegen, wo eine Dreifünftelmehrheit zur Verabschiedung erforderlich ist; oder aber, er läßt das Volk entscheiden. Erst nach einem dieser Schritte, können die Maastrichter Verträge ratifiziert werden. Dabei kann Mitterrand erneut entscheiden, ob er die Texte dem Parlament oder aber dem Volk vorlegt.
Für die Verfassungsänderung bevorzugt Mitterrand eindeutig den parlamentarischen Weg. Falls die Abgeordneten in der Lage seien, eine Dreifünftelmehrheit hinter dem neuen Text zu vereinen, „wüßte ich nicht, warum ich die Dinge mit einem Referendum komplizieren sollte“, sagte er. Andernfalls stünde er vor einem „schweren politischen Problem“ und müsse sich direkt an die FranzösInnen wenden. Dabei schwebt ihm gewiß das Schicksal de Gaulles vor Augen, der 1969 zurücktrat, weil sich die Franzosen bei einem Volksentscheid zur Regionalisierung und zur Senatsreform gegen dessen Vorschlag ausgesprochen hatten. „Wie dem auch sei, ob die Mehrheit der Parlamentarier nun guten oder schlechten Willens ist, es wird bis zur großen Ratifizierungs- Debatte über den Vertrag kommen. Ich werde nicht auf halbem Weg stehenbleiben“, erklärte der Präsident in fast erpresserischem Ton. Änderungen der Maastrichter Verträge schloß er aus.
Offen ließ Mitterrand hingegen, ob er die Maastrichter Verträge durch das Parlament oder das Volk ratifizieren lassen will. Ein Referendum hat stets etwas von einem Plebiszit für oder gegen den Präsidenten. In diesem Fall könnte Mitterrand die Volksbefragung als Joker benutzen und die Opposition in eine Zwickmühle bringen: Denn wenige Monate vor den Parlamentswahlen wollen seine Gegner Mitterrand keinen politischen Erfolg gönnen. Andererseits kann sich kein Spitzenpolitiker leisten, mit einem „Nein zu Maastricht“ in den Wahlkampf zu ziehen. Die bürgerliche Opposition wäre gezwungen, sich für den Erfolg des Präsidenten-Vorschlags stark zu machen.
Ablehnung des Europas von Maastricht gibt es in allen französischen Parteien: Bei den Sozialisten stellt sich vor allem der Abgeordnete und Ex-Verteidigungsminister Chevenement gegen den Konsens und erklärt, er könne den „praktisch unlesbaren“ Verträgen nicht zustimmen; sie müßten verändert, neu verhandelt oder interpretiert werden, andernfalls stelle sich für ihn die „Gewissensfrage“. Bei den bürgerlichen Parteien wurden einzelne Stimmen gegen den Souveränitäts-Verzicht laut. Die heftigste Kritik kommt von der rechtsradikalen Front National und von den Kommunisten. Die KPF wehrt sich dagegen, daß „die Franzosen für den König von Preußen arbeiten sollen“. Gegen das kategorische „Nein“ des Zentralkomitees protestieren die Reformkommunisten.
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