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WIEDER MAL IM KINO: „Die Milchstraße“ Luis Bunuels satanische Verse

Wir sehen einen Mann im Gras sitzen, und dann sehen wir seinen Tagtraum: der Papst steht vor einem Erschießungskommando. In dem Moment, da die Schüsse fallen, sind wir wieder auf der Wiese. Jemand fragt den Phantasierenden: „Nanu, gibt es hier einen Schießplatz?“ und er antwortet: „Nein, das war ich, ich habe geträumt!“

Keiner konnte so böse, witzig und kultiviert die katholische Kirche provozieren wie der Regisseur Luis Bunuel. „Ich werde euch lehren, richtig zu lästern“ hat er mal gesagt. Mit der „Milchstraße“ von 1969 wollte der Surrealist zunächst „Verwirrung stiften“: Der Film folgt zwei Pariser Clochards auf ihrer Pilgerfahrt entlang einer mittelalterlichen Wallfahrtsroute (der sogenannten Milchstraße) nach Santiago de Compostela. Ihr Weg wird zu einer surrealen Reise durch Raum, Zeit und Kirchengeschichte, auf der sie Jesus, der schwangeren Maria, dem Teufel, Ketzern, Fanatikern, irren Geistlichen und gar der heiligen Dreifaltigkeit begegnen.

La voie lactee schöpft aus dem ergiebigen Angebot von Häresien innerhalb der christlichen Religion. Alle Gestalten sind in leidenschaftliche und bizarre Dispute über theologische Spitzfindigkeiten vertieft. Ein sehr alltäglicher Jesus debattiert mit Maria darüber, ob er sich seinen Bart abnehmen soll; auf der Autobahn prophezeit ein schwarzgekleideter Herr den Landstreichern, daß sie am Ziel ihrer Pilgerfahrt mit einer Hure Kinder zeugen werden, die sie „Du bist nicht mein Volk“ und „Keine Barmherzigkeit“ taufen werden.

All diese absurden Irritationen zeigt Bunuel so beiläufig, als wäre es das Normalste auf der Welt. Gerade die nüchternen, immer etwas blaß inszenierten Bilder verstärken noch die Verunsicherung, die von diesem Film ausgeht. „In der Optik des Atheisten Luis Bunuel erscheint so der Weg der Kirche schlechthin als Irrweg“ urteilte der katholische Film—Dienst. Welch ein Lob.

Wilfried Hippen

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