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Die seltsame Reise des Seglers Herbert

■ Warum der Schiffsjunge Hans, bevor er 1914 auf große Fahrt nach Chile ging, von seiner Monatsheuer eine Kamera gekauft hat

hierhin bitte den

alten Mann

(Paßfoto)

Hans Warns (92) - als er in die Welt zog, war er 14.Foto: privat

Gehen Sie unbedingt hin, wenn Sie auch nur ein bißchen was übrig haben für Geschichten! Wenn Sie womöglich anzurühren wären von wirklichen Fotos vom Anfang unseres Jahrhunderts. Ein richtiger Schatz wird in der kleinen Krankenhaus-Galerie des St.-Joseph-Stiftes ab Karsamstag vorgezeigt, und das kommt so:

Als der Hans aus Elsfleth 14 Jahre alt war, kam er als Schiffsjunge auf die Viermast-Segelbark „Herbert“, auf große Fahrt um Kap Horn herum zu Chiles Salpeterwerken. Das war 1914. Und dieser erstaunliche Junge kaufte sich für eine ganze Monatsheuer von fünf Reichsmark einen Fotoapparat, eine amerikanische „Box“, einen schwarzen Kasten mit Rollfilm drin. Und knipste: das Schiff, sein Schiff! Und die Matrosen, die Schiffskatze und die Arbeiten an Bord; Stürme — und sechs Jahre Chile, denn als das Schiff ankam, war gerade der erste Weltkrieg ausgebrochen, und alle wurden interniert.

Hans Warns ist heute 92 Jahre alt und lebt in einem Bremer Pflegeheim. Seine Schwiegertochter Helgard Warns hat mit ihm die alten Photoalben durchgeblättert, seine Geschichten dazu aufgeschrieben und nochmal korrigiert, was der alte Herr falsch wiedergegeben fand. Er erinnert sich nämlich haargenau: an all die

hierhin bitte

das Segelschiff

Das ist Herbert.

Namen und Eigenheiten der anderen, an die Schiffe, an Feste und Streiche, an Weltpolitik, Kriegsangst und Eierklauen.

Die winzigen Album-Fotos, zugleich historische und sehr persönliche Dokumente, sind für die Ausstellung gewaltig vergrößert

Selbst als Herbert mit den Wogen kämpfte, lugte Hans aus der Kabine und hielt draufFoto: Warns

und mit Texten versehen worden, in der möglichst naturbelassenen Sprache des alten Warns, der dann später Kapitän auf Großer Fahrt wurde.

Die sieben Jahre von 1914 bis 1921 haben den Jungen zum Mann gemacht. Er, der Fotograf, ist nur selten auf den Bildern zu sehen: ganz zu Anfang als Schiffsjunge, in Dreiviertelhosen und Matrosenbluse, mit kindlich

hierhin bitte das

Foto von dem

Schiffsdeck

bei Sturm

weichem Gesicht. Aber was heißt kindlich! Als großer Sturm kam und die Brecher über Deck gingen, da zog Hans sich nicht die Decke über die Ohren, sondern holte die Box raus und hielt drauf.

Herausgekommen sind in den Jahren ganze Foto-Serien: Bis zum Ellenbogen greifen die Matrosen in Fässer, schrubben Planken. Sehr skeptisch stützt der schnauzbärtige Schiffskoch die Hand auf die Hüfte: ihm wurden zwar manchmal die Eier der lebenden Bordhühner geklaut - aber er gab den Jungs manchmal auch eine Kelle kräftige Erbensuppe extra, heimlich. Als die „Herbert“ dann vor Chile bei Iquique ankerte, war gerade der 1. Weltkrieg ausgebrochen, und alle mußten vier Jahre an Bord bleiben. Und die Männer von den anderen Schiffen im Hafen auch. Da lag zum Beispiel die legendäre „Passat“, heute Ausstellungsstück in Travmünde - aber wenn Hans Warns vom Ruderboot aus die ankernden Schiffe fotographierte, dann war seine „Herbert“ immer die schönste und in der Mitte von allen.

Die Bilder zeigen alles: wie Matrosen die Zeit und die Seelöwen totschlagen, aus denen sie Tran, Öl und Seife machten und mit dem Fell noch die Segel flickten; stolz wie Großwildjäger halten sie fürs Foto blitzende Messerklingen an die Kehlen der er

legten Tiere.

Aus den Kindersachen ist der Schiffsjunge dann schnell herausgewachsen. 1918 trägt er schon Männerkleider, selbstgemachte. Der Kapitän hatte Stoffe Hand- Nähmaschinen besorgt, und die Jungs lernten vom Segelmacher, wie man die alten Sachen auftrennt, auf den Stoff legt, mehr Länge zugibt und zusammennäht.

Hans Warns hatte unter Deck inzwischen seine Dunkelkammer, beim Segelmacher. Rotlicht gab die Positionslaterne ab. Und Aufträge gab's genug, schließlich wollten alle Erinnerungsfotos haben.

1918 war endlich Frieden, wenn auch die Internierung andauerte. Man durfte an Land — und Hans Warns photographierte. Ein Bordfest: die Hälfte der Matrosen steckt ersatzweise in Damenkleidern zum Tanz. Oder das Hafen-Schwimmfest: In Reihe warten die Jungs auf das Kommando zum Reinspringen, manche in den gestreiften Badeanzügen dieser Zeit, andere in Shorts. Oder der unschuldig geknipste Ausflug zu den Inka-Gräbern, die so „gute Grabbeilagen“ haben sollten; einige Schädel, Vasen und Tonschalen werden nachher für eine Ausstellung an Bord dekoriert und später verschenkt.

Am Ende ist aus dem Schiffsjungen ein junger Mann geworden: den Hut aus der Stirn geschoben, die Pfeife im glattrasierten Gesicht. Und wenn alles gutgeht, wird Hans Warns, 92jährig, am Karsamstag zur Ausstellungs- Eröffnung kommen. Susanne Paas

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