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Helm ab zum Gebet

Die Hilflosigkeit angesichts der voraussehbaren Lava-Bedrohung am Ätna nimmt groteske Formen an/ US-Army wirft Steinchen/ Dank an den Ätna, der die „urbanistische Blasphemie“ wegschluckt?  ■ Aus Zafferana Etnea W. Raith

Die Begrüßung ähnelt mehr einem Briefing in Sachen Fehlervermeidung denn einem Wiedersehen nach fast einem Jahrzehnt: Enzo D'Amico, der uns um Mitternacht am Flugplatz Catania abholt und ins lavabedrohte Zafferana Etnea bringt, warnt weniger vor den Gefahren des Feuerstroms als vor dem Ärger der Bürger: „Bitte nicht den Namen des Zivilschutzministers nennen — wenn die den hören, schmeißen sie mit Weinflaschen. Nicht über die Teufelsaustreiber lachen, die da oben zugange sind — für viele sind sie die letzte Rettung. Und kein Wort über Vittorio Sgarbi, wenn ihr lebend rauskommen wollt“. Der soeben ins Parlament gewählte Kunstkritiker Sgarbi, enfant terrible aller Talkshows, hatte dem Ätnaschlund öffentlich gratuliert, „weil der diese Monster urbanistischer Blasphemie wegschluckt, die die Menschen auf seinem Rücken errichtet haben“. Kein gerade glückliches Statement gegenüber der 6.000-Seelengemeinde, die möglicherweise in wenigen Tagen vom glühenden Strom aus dem Erdinneren wegradiert sein wird. „Schaut, das ist das Monster, von der diese Sau in Rom geredet hat“, schreit der Eigentümer der ersten lavaumspülten Hütte, in der die Familie zwei Generationen lang lebte. Auf die Vorderwand hatten die Eigentümer noch schnell ein böses „Grazie Governo“, Danke, Regierung, gesprüht. Dann stellten sie Brot und Wein für den „gütigen Vater Ätna“ auf den Tisch und liefen weg vor dem sengenden Teppich. Zafferana Etnea, eine wiederholt in den Strudel vulkanischer Magma geratene Stadt, steht nahezu vollständig auf einem der früheren Ströme. Die Zufahrtsstraßen sind von den bizarren Formationen des erkalteten Feuerstromes gesäumt, die älteren Häuser, die Kirche aus dunklen und hellen Blöcken der unterschiedlichen Lavaschichten gebaut. Derzeit gleicht der Ort einer Stadt im Belagerungszustand: Feuerwehrleute, uniformierte Helfer des Zivilschutzministeriums, italienische und amerikanische Sodlaten sausen herum, Flugzeuge und Hubschrauber dröhnen hinauf zum Loch in zweitausend Meter Höhe, wo das Unheil seit voriger Woche seinen Lauf nimmt. Obwohl man auf einer einfachen Relief-Karte den künftigen Weg der Magma gut voraussehen konnte, tat die Regierung, wie üblich, zunächst nichts — obwohl es weder haltbare Dämmauern noch Abflußrinnen gab. Erst jetzt, da der Strom wenige Meter vor den ersten Häusern anbrodelt, bricht die Regierung in die übliche wortreiche Hektik aus und bringt irgendwann fünfzig Kilo Dynamit zur Explosion, um die Lava umzuleiten. Das Ergebnis, so der leitende Rettungsarchitekt, „sei vielversprechend“ — doch die Feuermasse rollt unentwegt weiter.

Die US-Pioniere mit ihren mächtigen Hubschraubern vom Typ „Black Stallion“ (Schwarzer Hengst), scharren derweilen ungeduldig mit den Hufen im Sand. Sie kennen da eine viel bessere Lösung als Detonationen: gelbe Betonblöcke, jeder mehr als einen Kubikmeter groß. Die wirft man der Lava in den Weg, die dann nur noch im Schneckentempo voran kommt und erkaltet, ehe sie die Stadt belästigt.

Gegen Abend geben die Italiener nach — Uncle Sam soll's nun doch richten. Die Schwarzen Hengste lassen ihre gelben Betonäpfel fallen — und die schwimmen alsbald, Vater Ätna sei's geklagt, als wären sie aus Styropor, ganz oben auf dem Lavastrom mit zu Tal. Dienstagmittag beschließen die Italiener, sich selbst auch noch mal zu blamieren: eine neue Detonation ist angesagt, wird dann ausgesetzt, wieder angesagt. Der Lavastrom schwillt weiter an.

Von der Kirche wird, bereits zum wiederholten Male, die Madonna dem Unheil entgegengetragen — vor neun Jahren hatte ihr der Lavastrom zwar ein Füßchen angesengt, war dann aber stehengeblieben. Diesmal aber hilft auch sie nicht.

Oben im Einsatzkommando kratzen sich Leiter wie Fußvolk den Kopf: „Nicht möglich, daß wir am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts noch einem derart lächerlichen Naturereignis ausgesetzt sind“, brummt einer. Ein anderer hebt seine Kopfbedeckung, kniet nieder und sagt: „Machen wir halt wie immer: Helm ab zum Gebet.“

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