: „Den Räuber zum Dorfchef machen“
Empörung in Thailand nach der Ernennung des Putschistenführers General Suchinda zum neuen Premierminister ■ Aus Bangkok Paul Simon
„Wie kann bloß ein Putschistenführer zum Premierminister einer demokratisch gewählten Regierung werden?“ rief voller Verzweiflung ein studentischer Vertreter ins Mikrophon. Wut und Empörung, aber auch Resignation waren die ersten Reaktionen unter den rund 1.000 Studenten, die sich nach der Nominierung von General Suchinda zum neuen Premier zu einer Protestversammlung in der Bangkoker Thammasat Universität versammelt hatten. Suchinda hatte für die Parlamentswahlen im März nicht kandidiert. In seinem neuen Kabinett sollen neun Ministerposten mit Leuten besetzt werden, die sich ebenfalls der Wahl nicht gestellt hatten.
Thirayuth Boonmee, ehemaliger Guerilla- und Studentenführer der siebziger Jahre, heute Politik-Dozent, zog diesen Vergleich: „Es ist, wie wenn die Bauern einen Dorfchef wählen wollen. Und dann hintertreibt jemand dessen Wahl mit der Begründung, daß das Dorf von Räubern bedroht wird und ein Räuber als Dorfchef besser in der Lage sei, das Dorf vor seinen Räuberkollegen zu schützen.“
Der angesehene Arzt, Hochschullehrer und geistige Vater vieler regierungsunabhängiger Hilfsorganisationen, Dr.Prawt Wasi, hob hervor, daß nicht ein einziges Versprechen, mit dem die Militärs die Bevölkerung für den Putsch von 1991 gnädig zu stimmen suchten, eingehalten wurde. Statt dessen habe nach über einem Jahr Militärherrschaft die Armut und die Gewaltkriminalität im Lande weiter zugenommen — ebenso wie die Zerstörung der Umwelt, die Korruption und der Abbau demokratischer Rechte.
Vor weniger als einem halben Jahr noch hatte Armeechef Suchinda feierlich versichert, daß das Militär keinerlei politische Ambitionen hege. Es werde nicht in die Wahlen eingreifen. Er selbst strebe auch keinesfalls ein politisches Amt an. Tatsächlich aber unternahmen die Militärs alles, um den politischen Prozeß unter ihrer Kontrolle zu halten und sich ihren Einfluß auf das Parlament auch über die Wahlen hinaus zu sichern. Sie ließen durch das von ihnen eingesetzte Parlament eine Verfassung verabschieden, die ihnen jederzeit erlaubt, die Regierung auseinander zu jagen.
Die Militärs gründeten mit der Sammakki Tham Party eine eigene Partei und brachten zwei weitere einflußreiche Parteien — darunter auch die Chart Thai Party des ehemaligen Regierungschefs Chartchai — unter ihre Kontrolle, indem sie die Absetzung der Parteichefs und deren Ersetzung durch eigene Günstlinge erzwangen.
Aber es ist nicht allein dieser Wortbruch, der viele empört hat, sondern auch die dumm-dreiste Art, mit der die gegenwärtige Militärführung ihren politischen Machtanspruch zu kaschieren sucht. Da hatte noch General Suchinda mit seinem Vorwurf der Korruption und Vetternwirtschaft gegen die abgesetzte Regierung Chartchai gewisse Sympathie unter der Bevölkerung wecken können. Da machte sich Schadenfreude breit, als im folgenden eine Reihe von hochrangigen Politikern und ehemaligen Ministern vor eine durch das Militär ernannte Untersuchungskommission zitiert wurden. Bei einigen von ihnen, darunter auch Ex-Premier Chartchai, wurden Banknoten in zweistelliger Millionenhöhe konfisziert, Ländereien, Autos und anderer Vermögensbesitz beschlagnahmt.
Doch groteskerweise sind es, mit wenigen Ausnahmen, heute wieder jene mafiosen Elemente, die an die Fleischtöpfe von Minstersesseln heranreichen werden. Vier der fünf Parteien von Suchindas neuer Regierungskoalition gehörten schon der alten Regierung unter Chartchai an — dabei waren sie von eben dem, den sie gerade zum Premier ernannt haben, weggeputscht worden. Diese Parteien, bar jeglicher Ideologie oder eines politischen Programms, sind berüchtigt für ihre Bereitschaft, jedem Herrn zu dienen, solange sie ihre Einflußsphären und Ressourcenzugänge nicht beschnitten sehen.
Wieder einmal, so der Kommentar einer Bangkoker Tageszeitung, habe sich das thailändische Sprichwort bewahrheitet, dem zufolge es in der thailändischen Politik weder ewige Freunschaft noch immerwährende Feindschaft, sondern nur gemeinsame Interessen gebe.
Suchinda hat in der Tat keine andere Wahl, als ein Bündnis mit diesen Parteien, will er seinem Kabinett eine parlamentarische Mehrheit sichern und seinen Freunden, Verwandten und Gefolgsleuten aus dem Militär — allesamt Abgänger der sogenannten fünften Klasse der Chulachomklao Militärakademie — hohe Posten in Armee, Regierung und ziviler Verwaltung sichern. All dies aber auch, um seine ärgsten Rivalen und ehemaligen Vorgesetzten, Ex- Armeechef General Chaovalit Yongchaiyudh, politisch in Schach und von der Regierungsübernahme fernzuhalten.
Damit ist dann schon der wirkliche Hintergrund des gegenwärtigen Politdramas in Thailand auf den Begriff gebracht: der Kampf zweier verfeindeter Militärfraktionen um die Staatsführung, der trotz allen Demokratiegeredes und freier, allgemeiner Wahlen die Bevölkerung zu unmündigen Zuschauern und die Politiker zu willfährigen Statisten degradiert.
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