: 13 Jahre taz sind nicht genug
Erschiene die taz in China oder einem anderen Land, in dem Zahlenmagie und Aberglaube noch etwas gelten, müßten wir dieses Jubiläum verschweigen. Dies käme uns nicht ungelegen, denn 13 Jahre taz sind für uns kein rechter Anlaß mehr zu jubilieren. Von denjenigen, die an der ersten täglichen Ausgabe mit dem Datum vom 17. April 1979 mitwirkten, sind in der Redaktion und in der Technik ganze fünf noch immer oder — wie in meinem Falle — wieder dabei. Wir erinnern uns an die freudige Überraschung, daß es uns tatsächlich gelang, an einem einzigen Tag eine Ausgabe mit zwölf Seiten zu produzieren. Zur ersten „Nullnummer“ hatten wir fünf Tage gebraucht.
In ihrem ersten Jahr verkaufte die taz täglich 20.000 Exemplare, heute sind es 60.000. Inzwischen ist an die Stelle eines kollektoiden Haufens enthusiastischer Laien eine Redaktion getreten, die an den zahlreichen Bildschirmen gelassen Ausgaben von bis zu vierzig Seiten komponiert. Während wir uns anfänglich mit guten Gründen gelegentlich als „größte Schülerzeitung Deutschlands" bezeichneten, versuchen wir heute eine seriöse, umfassende Zeitung zu machen, aber dennoch den herrschenden Begriff des Politischen in Frage zu stellen.
Der ideologische und auch materielle Zerfall des linksradikalen, alternativen und grünen Milieus in dieser Republik ist nicht spurlos an uns und unserer Zeitung vorübergegangen. Zum Teil konnte die taz Vorreiter, zum Teil Spiegel dieses Prozesses sein, zum Teil transportiert sie noch die Relikte zerstörter Gewißheiten. Die taz war von Anfang an dazu verurteilt, immer eine andere zu werden und niemals zu sein. Das macht sie nach wie vor zu einer gelegentlich unberechenbaren, selten langweiligen Zeitung.
Gleichwohl hat sie mit ihren Schwerpunkten wie Ökologie und Feminismus die etablierten, liberalen Medien nachhaltig geprägt und inspiriert. Sie ist zu einem Lieblingsblatt der Journalistinnen und Journalisten geworden, und ihr politischer Einfluß ist bedeutend größer, als ihre viel zu geringe Auflage vermuten läßt. Die taz ist darüber hinaus unwillentlich zur erfolgreichsten Journalistenschule Deutschlands avanciert. Dutzende von talentierten jungen Kolleginnen und Kollegen konnten in dem herrschaftsarmen Arbeitsklima ihre Fähigkeiten entwickeln und gingen irgendwann zur Konkurrenz. Viele verließen die taz weniger aus finanziellen Gründen als wegen ihrer hoffnungslos alternativ-chaotischen internen Verfassung.
Trotz dieses permanenten Aderlasses hat die Zeitung Dutzende von kleinen und großen Krisen überlebt, so auch die existentielle Zerreißprobe des letzten Jahres. Die Gründung der Genossenschaft sichert jetzt nicht nur das Überleben, sondern ist ein entscheidender Schritt nach vorne. Er steht in der egalitären Tradition des Blattes, löst aber die oft entscheidungsunfähige Basisdemokratie durch eine klare und funktionale Arbeitsstruktur ab.
13 Jahre taz sind für uns kein Anlaß, uns zu feiern, aber wenigstens insgeheim können wir ein wenig stolz sein. Wir — und damit meine ich all die hunderten von Menschen, die seit 1979 viel Zeit und Energie in dieses Blatt gesteckt haben — konnten ein einzigartiges Medium in der grauen deutschen Presselandschaft etablieren. Wir sind wild entschlossen, die taz mit der Unterstützung durch unsere GenossInnen und LeserInnen, weiter zu verbessern und wirtschaftlich zu konsolidieren. In der taz herrscht zarter Optimismus, daß uns dies gelingen könnte, und in jedem Fall die feste Überzeugung: 13 Jahre taz sind nicht genug. Michael Sontheimer, Chefredakteur
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