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Mit stumpfen Drachenzähnen

Drei Bücher über das Verhältnis von Staat und RAF  ■ VON JULIA ALBRECHT

Einen „Verdrängungsprozeß zu stören“, haben sich drei Autoren zum Ziel gesetzt. Eine umfassende Rückschau kam heraus. Eine Gegenwartsbetrachtung wäre spannend gewesen.

Ende 1991 erschienen im VSA- Verlag drei Bücher von drei Autoren zum Thema „Terroristen und Richter“. Sie bieten eine umfassende Rückschau zu der Geschichte des, im wesentlichen westdeutschen, Terrorismus und dem staatlichen Umgang mit diesem. In Band1 schreibt der Rechtsanwalt Heinrich Hannover zu dem Thema Terroristenprozesse, in Band2 untersucht Rolf Gössner, ebenfalls Jurist, Das Anti-Terror-System, und in Band3, unter dem Titel Drachenzähne, befaßt sich Margot Overath, Journalistin, mit der Hochsicherheitsjustiz.

Ärgerlich der hierbei suggerierte Eindruck, es handele sich um zwingend zusammengehörende Bände. Vielmehr lohnt es sich, sorgfältig zu wählen, welches der Bücher einen interessiert. Viele Themen wiederholen sich. Der Prozeß gegen Boock wird, wenn auch in unterschiedlicher Weise, sowohl bei Frau Overath als auch bei Herrn Hannover behandelt. Die Analyse der von den Gerichten unterstellten Kollektivität der RAF findet in allen Büchern eine ausgiebige Wiedergabe und ist darüber hinaus auch nicht neu. Der Hinweis auf die Art der Vorverurteilung, wie sie durch die Presse, aber auch durch die prozessuale Sonderbehandlung geschieht, ist zentrales Thema in allen drei Büchern.

„Terroristenprozesse“ von Heinrich Hannover

Als Leitgedanke und roter Faden zieht sich durch Heinrich Hannovers Buch Terroristenprozesse die These, daß es im politischen Prozeß „nicht um die Wahrheitsfindung, sondern um die Vernichtung von Feinden und die Rehabilitierung von Freunden“ geht. Mit Hilfe dieser, an Carl Schmitt orientierten, Gegenüberstellung Freund-Feind analysiert Hannover nicht nur die Prozesse gegen die RAF, sondern auch eine Vielzahl anderer politischer Prozesse, nicht zuletzt auch historische, bis hin zu dem gegen Jesus von Nazareth. Grund für die Verurteilung ist nach Meinung Hannovers nicht die Straftat, sondern die staatsfeindliche Haltung.

So zeigt Hannover, wie es möglich ist, daß NS-Verbrecher, die nachweislich mit eigener Hand gemordet hatten, mit lächerlich milden Urteilen belohnt wurden und gleichzeitig die „Terroristen“, bei denen in vielen Fällen jeglicher Nachweis einer Tatbeteiligung fehlte, zu lebenslänglichen Strafen verurteilt wurden. Die Gerichte bedienten sich hierbei des sogenannten subjektiven Täterbegriffs, der in nicht-politischen Prozessen bereits seit 1956 vom Bundesgerichtshof verworfen worden war. Die Gerichte beurteilen hierbei das vermeintliche Wollen der Angeklagten und nicht die Tat. Während die Nazis so als Gehilfen eingestuft wurden, weil sie die Tat nicht „als eigene“, sondern „als fremde“ wollten — also für Hitler, Himmler, Heydrich handelten —, waren die „Terroristen“ Täter, weil sie, selbst wenn sie nicht am Tatort gewesen waren, die Tat „als eigene“ wollten. Der subjektive Täterbegriff wird damit zur Öffnung, an der die Qualifizierung Freund-Feind Einlaß findet.

Im Verlauf des Buches zeigt Hannover eine Vielzahl weiterer juristischer Strukturen auf, die es ermöglichen, gegenüber „Freunden“ Milde und gegenüber „Feinden“ Härte walten zu lassen. Wichtiges Moment hierbei die geltende Strafprozeßordnung von 1877. Mit Hilfe dieses Gesetzes, das in den letzten zwei Jahrzehnten mannigfaltige Verschärfungen erfahren hat, werden Verteidiger zu Komplizen ihrer Mandanten herabgewürdigt und entsprechend behandelt. So wurden sie unter anderem wie die Angeklagten vor Prozeßbeginn durchsucht und mußten sich mit beschränkten Besuchszeiten begnügen.

Hannovers Buch ist angenehm unideologisch. Er spart auch diejenigen Verfahren nicht aus, die der aufgestellten These entgegenstehen. So referiert er auch diejenigen Prozesse, bei denen es möglich war, das Freund-Feind-Schema zu durchbrechen (so geschehen bei Karl Heinz Roth und Astrid Proll) und mit einer wirklichen Beweisführung zu rechtsstaatlichen Urteilen zu kommen. Außerdem beschäftigt er sich mit der Frage, wie die festgefahrene Stigmatisierung der Terroristen als Staatsfeinde beendet werden könnte. In seinem letzten Kapitel fordert er dazu auf, über Gnade oder Amnestie nachzudenken, um den „Teufelskreis des Terrors zu durchbrechen und nach rationalen Problemlösungen zu suchen...“

„Drachenzähne“ von Margot Overath

Das Buch Drachenzähne von Margot Overath verspricht einen Einblick in die Wirklichkeit der Hochsicherheitsjustiz. Der über 200 Seiten umfassende Hauptteil handelt von „Fallbeispielen“. Ausführlich dargestellt werden einzelne Lebensläufe und verschiedene Prozesse. So zum Beispiel der Prozeß gegen Werner Hoppe 1972 in Hamburg, die Geschichte des sozialistischen Patientenkollektivs, die Prozesse im Zusammenhang mit der Ermordung Drenkmanns, der Prozeß gegen Schneider und Wackernagel. Eine Unmenge von Zitaten wird verwertet, sowohl aus Urteilen wie auch von Akteuren. Immer wieder bemüht sich Frau Overath um die Darstellung derjenigen Vorurteile, die die massiven, meist lebenslänglichen Urteile überhaupt erst ermöglichten. Sie weist nach, wie sowohl die These von der Kollektivität aller RAFler, als auch die des Schießbefehls entstanden ist beziehungsweise erlogen wurde, um dann von Urteil zu Urteil als „gerichtsbekannt“ verwertet werden zu können. Nur mit Hilfe dieser Konstrukte, die die nicht vorhandenen Beweise einer tatsächlichen Tatbeteiligung der Angeklagten ersetzten, konnten die Gerichte die erwünschten „Lebenslänglich“ aussprechen.

Im Unterschied zu den anderen Autoren ist Overaths Stil erzählend, persönlich und nah an den Personen ihres Interesses. In einem ersten Teil berichtet sie von den Bedingungen ihrer Recherche, nämlich dem Versuch, als Journalistin Einlaß zu finden zu Inhaftierten, und referiert ausführlich über die ihr dabei in den Weg gelegten Steine. Sie verschleiert allerdings, daß sie, selten privilegiert, trotz der Schwierigkeiten einige Gespräche führen durfte, die dann als Zitate an anderen Stellen des Buches angeführt werden.

Das Buch endet mit einem Interview der Familie von Braunmühl, einer Familie, die vielleicht als erste abgewichen ist vom staatlicherseits „verordneten“ Gesprächsverbot mit Staatsfeinden und die dadurch mitgewirkt hat, das Freund-Feind- Schisma aufzuweichen. Frau Overaths Buch ist leicht und anschaulich geschrieben. Wer die Probleme noch nicht kennt, findet hier eine angemessene Einführung. Unklar bleibt allerdings das Interesse, mit dem sie dieses Buch geschrieben hat. Auch bleibt dunkel, wie die drei Teile ihres Buches (Bedingungen der Recherche, Fallbeispiele und das Gespräch mit der Familie von Braunmühl) zueinander gehören. Und des Eindrucks, es sollten auch Seiten gefüllt werden, vermag man sich nicht ganz zu erwehren.

Das „Anti-Terror-System“ von Rolf Gössner

Unter dem Titel Das Anti-Terror-System beschreibt Rolf Gössner die Bundesrepublik als Hochsicherheitsstaat. Die Ursachen des deutschen Terrorismus ortet Gössner weniger bei den sogenannten Terroristen selbst, als vielmehr in dem umfangreichen Apparat, bestehend aus Sonderbefugnissen für Polizei und Verfassungsschutz, die die Kriminalisierung politisch Interessierter und Engagierter zur Folge hat. Terroristen würden so allererst geschaffen. Die tatsächliche Bedrohung durch einige wenige politisch motivierte Straftäter stehe in keinem Verhältnis zu den umfangreichen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten. Dies belegt Gössner mit Hilfe statistischer Vergleiche zwischen den von Terroristen begangenen Gewaltverbrechen und den von „normalen“ Bürgern begangenen Straftaten.

Auch attestiert Gössner der Bundesrepublik eine Sondergesetzgebung und Sondergerichtsbarkeit, die sich nur graduell von den Praktiken der Nationalsozialisten unterscheide. Durch die verschärften Gesetze, insbesondere des 129a StGB, werde ein Gesinnungsstrafrecht ermöglicht, das im krassesten Gegensatz steht zu einem Strafrecht, das die nachzuweisende Tat und eben nicht die Gesinnung zum Ansatzpunkt der Bestrafung macht.

Als Sondergerichtsbarkeit bezeichnet Gössner die Praxis, politische Verfahren den oberen Instanzen und dem Generalstaatsanwalt zuzuweisen, was bei „normalen“ Verfahren nicht möglich ist und notwendig zu einer Vorverurteilung der Angeklagten führt. Dabei glättet er jedoch die bestehenden Unterschiede. Sondergerichte bei den Nazis waren eigenständige Gerichte, ausgestattet mit besonders staatstreuen Richtern, die mit den sonstigen Instanzen in keinem Zusammenhang standen.

Unbefriedigend ist Gössners undifferenzierter Umgang mit den Begriffen „politisch“ und „politischer Prozeß“. Einerseits fordert er die Berücksichtigung der politischen Motive in den Verfahren und die offene Benennung dieser Prozesse als politische. So verweist er lobend auf die Praktiken während der Weimarer Republik, als politisch motivierte Straftäter, ausgestattet mit allerhand Privilegien, in Festungshaft kamen. (Prominentestes Beispiel hierfür Hitler, der in dieser Zeit Mein Kampf schrieb.) Andererseits ist Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation die kritisierte Sonderbehandlung „terroristischer“ Täter. Gössner verläuft sich, wenn er die negative Sonderbehandlung kritisiert, eine positive aber für wünschenswert hält. Will man das Gebot eines tatbezogenen Strafrechts nicht aufgeben, ist die Gesinnung des Täters eben nie zu berücksichtigen. Überlegungen dazu, wie die politische Motivation Eingang finden soll, ohne einem Gesinnungsstrafrecht zu verfallen, wären interessant und nötig gewesen.

Wer zu starr blickt, den bestrafen die Leser

In gewisser Weise haben die Autoren Pech gehabt. Pech deshalb, weil sie die Arbeit an den Büchern bereits nahezu beendet hatten, als die Situation sich noch einmal vollkommen wandelte. 1990 wurden in der DDR zehn ehemalige Terroristen verhaftet. Sie unterschieden sich von ihren Vorgängern schon durch die Länge der Zeit, während derer sie in bewußter Abkehr vom bewaffneten Kampf in Freiheit gelebt hatten. Die letzte Straftat hatte jeweils mindestens zehn Jahre zurückgelegen, und selbst denen, die sich bei anderen Gelegenheiten nicht entblödeten, die Todesstrafe zu fordern, fiel es schwer, die Gefährlichkeit dieser Personen überzeugend scheinen zu lassen und unmäßige Strafen zu fordern.

Neue Fragen rückten auf einmal in das öffentliche Interesse. In den Blickpunkt geriet die Kronzeugenregelung und auch die ganz grundsätzliche Frage, ob die klassischen Strafgründe der Spezial- und Generalprävention hier noch Sinn machen. Die ersten beiden Prozesse fanden noch vor Erscheinen der Bücher statt, und so war die Linie der Gerichte und der staatlichen Stellen bereits absehbar: Diese interessierten sich nicht für Gnade oder Amnestie, Gesichtspunkte, die Hannover in seinem letzten Kapitel als mögliche Lösungen diskutiert. Vielmehr schossen sie sich auf eine halbherzige Anwendung der Kronzeugenregelung ein, die für diese Fälle weder geschaffen worden war, noch besonders gut paßte.

Die Folge der Anwendung der Kronzeugenregelung ist allerdings grundsätzlicher Natur: da man mit ihr um die in diesen Fällen unerwünschten „Lebenslänglich“ herumkam, mußte man nicht nachdenken über die Gründe, die bei den früheren RAF-Prozessen die Lebenslänglich überhaupt erst möglich gemacht hatten. Dies war in erster Linie die Konstruktion der Kollektivität, die jedes Gruppenmitglied auch dann als Täter bestrafte, wenn ihm ein eigener Tatbeitrag nicht nachzuweisen war.

Die Infragestellung dieser Konstruktion hätte die Folge der neuen Prozesse sein müssen, da hier nun fraglos bestätigt wurde, daß es sich bei der RAF nicht um ein gleichgeschaltetes Kollektivorgan handelte.

Mit Hilfe der Kronzeugenregelung konnte diese Diskussion vermieden werden, man hatte ein Hintertürchen gefunden, um die Lebenslänglich zu vermeiden. Die Feststellung von Fehlurteilen bei früheren Prozessen kann man nun endgültig in den Wind schreiben.

Auch vermißt die Leserin die in diesem Zusammenhang bedeutsame Diskussion des Mörderparagraphen 211StGB, der die lebenslängliche Strafe zwingend vorsieht. Würde man endlich diesen, in der heutigen Fassung von den Nazis stammenden und ebenfalls ein Gesinnungsstrafrecht etablierenden, Paragraphen abschaffen, hätte sich die Anwendung der Kronzeugenregelung von allein erledigt. Man wäre dann nämlich erst gar nicht in die Verlegenheit gekommen, ein Lebenslänglich abwenden zu müssen.

Eisern wird allerdings an diesem Paragraphen festgehalten, der nicht die Tat, sondern die Gesinnung (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebes, Habgier, Heimtücke, Verdeckung einer Straftat und andere niedrige Beweggründe) des Täters bestraft. Mit Ausnahme von Hannover, dessen Freund-Feind- Entwurf eine gewisse Dynamik in dem Verhältnis von RAF und Staat zuläßt, verstellt die Starrheit des Bildes, das die anderen Autoren vom Staat entwerfen, den Blick für eine mögliche „Problemlösung“ in Sachen Terrorismus. Die Diskussion um die Begnadigung Books (die dann durch Pressekampagnen, Herrn Rebmann und schließlich durch die Beredsamkeit der DDR-Aussteiger vereitelt wurde) wird zwar von Hannover berichtet, Ansätze einer weitergehenden politischen Lösung finden sich aber in keinem der drei Bücher. Hier hätte doch die Initiative zur Zusammenlegung und Kinkels Vorstoß zu frühzeitigen Haftentlassungen, auch ohne die kindische Abschwörung durchsetzen zu wollen, Erwähnung finden müssen. Daß diese Ansätze nicht ganz unwesentlich sind, zeigt die jüngste Erklärung der RAF und ihrer inhaftierten Gesinnungsgenossen, den bewaffneten Kampf zugunsten einer Veränderung der Haftbedingungen aufgeben zu wollen. Die Debatte um das ideologische Scheitern der RAF wird spätestens seit dem Hungerstreik 1989 auch unter den Militanten geführt.

Mit Terroristen und Richter erhält man 820 Seiten Buch und über 2.000 Fußnoten, die jeweils als Anmerkungen am Ende der Bücher zu finden sind. Für den nicht erst seit heute interessierten Leser bringen die Bände an Grundsätzlichem nichts, an Fakten wenig Neues. Es sind vor allem fleißige Sammelbände, die eine Unmenge an Detailinformationen verarbeiten. Wären die Bücher mit einem ausführlichen Register versehen, hätten sie sich hervorragend als lexikalische Nachschlagewerke geeignet.

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