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Das Ortega-Syndrom der Sandinisten

Oder: Wie die Parteibasis in Nicaragua versucht, ihrem Chef den Überdruß an selbstherrlicher Führung zu signalisieren  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Es gärt unter den Sandinisten. Die ehemalige Regierungspartei Nicaraguas treibt auf eine Krise zu, in deren Mittelpunkt Parteichef Daniel Ortega steht. Seine Weigerung, den alten Führungsstil abzulegen, die Vergangenheit offen aufzuarbeiten und sich neuen Inhalten zuzuwenden, verärgert die Basis. Dies bekam Ortega erstmals Anfang Februar zu spüren. Als er von einer seiner zahlreichen Auslandsreisen zurückkam, hatte sich in der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) eine „Zentrumsgruppe“ konstituiert. Die Fraktion unter Führung des ehemaligen Abgeordneten und Parlamentssekretärs Rafael Solis hat Abschied genommen von den Prinzipien des Antiimperialismus und der Revolution. Sie sucht Gemeinsamkeiten mit Vertretern des konservativen Regierungslagers. „Nicaragua hat erstmals die Möglichkeit, sich als wirklich reife und pluralistische Gesellschaft zu etablieren, in der die unvermeidlichen Konflikte und die natürlichen Widersprüche auf friedlichem und legalem Weg gelöst werden können“, heißt es in einem Dokument mit dem Titel „Überlegungen zum nationalen Projekt“.

„Der Sandinismus reibt sich auf“

Bayardo Arce, einer der neun Comandantes in der „Nationaldirektorium“ genannten Parteiführung, erklärte jüngst, es gebe drei Strömungen innerhalb des Sandinismus. Die Dichterin Gioconda Belli schrieb: „Die Frente ist zwar nicht gespalten, aber auch nicht geeint; der Sandinismus reibt sich in seinen Widersprüchen auf und flüchtet sich in philosophischen Idealismus.“ Damit ist offenbar Daniel Ortega gemeint, der als einziger weiter den Mythos der monolithischen Einheit verteidigt: „Die einzige Strömung im Sandinismus ist die des Sandino, der ein volksverbundener und antiimperialistischer Kämpfer war.“

Doch die allgemeine Orientierungslosigkeit der Linken ist nicht mehr zu verheimlichen. Der Parteivorsitzende erhielt die Quittung dafür, daß er jede öffentliche Diskussion über die Linie der FSLN ablehnt: Die Parteibasis von Managua boykottierte die Wahl der regionalen Parteigremien. Erst sollte die allgemeine Unzufriedenheit mit der Führung diskutiert werden. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit hat bisher genausowenig stattgefunden wie eine Diskussion über neue Strategien und Programme. Als eine Gruppe von Intellektuellen Mitte Februar einen Diskussionsabend veranstaltete, kamen über 300 Aktivisten, um ihr Unbehagen kundzutun. Und als die Parteibasis aus der Zeitung erfahren mußte, daß Ortega im Alleingang den Beitritt der FSLN zur Sozialistischen Internationale anbahnte, kam es zum Krach. „Das Problem ist nicht der Beitritt“, wetterte ein zorniger Anhänger in einem Leserbrief, „das Problem ist, daß dieser Schritt in den zuständigen Gremien nicht zur Diskussion gestellt wurde.“

Der alte Kampf um die richtige Linie

Richtungsstreitigkeiten im Sandinismus sind nichts Neues. Als der Diktator Somoza Mitte der siebziger Jahre erste Anzeichen der Schwäche erkennen ließ und ein Sieg der Revolution erstmals in greifbarer Nähe schien, entbrannte in der Sandinistischen Befreiungsfront einen Disput über den geeigneten Weg zur Machtergreifung. Die Gruppe um den Veteranen Tomas Borge hielt den in Vietnam bewährten langanhaltenden Volkskrieg und das langsame Kräftesammeln in den Berggebieten für die richtige Taktik. Dagegen wollten die jüngeren, meist der aufgeklärten Bourgeoisie entstammenden Kader wie Jaime Wheelock und Luis Carrion, über die Studentenbewegungen und die Gewerkschaften das Kräfteverhältnis zugunsten der Revolution verschieben. Schließlich waren es die Brüder Ortega, die die Gunst der Stunde erkannten und durch eine geschickte Bündnispolitik auch das Bürgertum und die Mehrheit der Unternehmer zur offenen Konfrontation mit der Diktatur brachten. Diese Tendenz setzte sich im März 1979 schließlich durch. Deswegen wurde auch Daniel Ortega im Nationaldirektorium bald als primus inter pares azeptiert, und der Stratege Humberto Ortega war logischerweise der Mann fürs Verteidigungsministerium. Während die Revolutionsführer nach außen stets Geschlossenheit demonstrierten, waren selbst in den Beraterstäben der Ministerien noch jahrelang die individuellen Tendenzen zu erkennen.

Nach der völlig überraschenden Wahlniederlage im Februar 1990 verloren engagierte Aktivisten, die zehn entbehrungsreiche Jahre ihres Lebens in den Dienst der Revolution gestellt hatten, ihre letzten Illusionen. Sie mußten zusehen, wie Parteifunktionäre aller Ebenen sich vor der Machtübergabe in einer Rette-sich- wer-kann-Aktion schamlos bereicherten und wie scheinbar unbestechliche Ideologen über Nacht zu Unternehmern und Villenbesitzern wurden. In einer kurzen selbstkritischen Phase wurden von den vertikalen Strukturen über das Fehlen der parteiinternen Demokratie bis zum Lebenswandel einzelner Comandantes alle Fehler der Vergangenheit angeprangert. Angesichts der konservatien Offensive der neuen Regierung war aber bald wieder Zusammenrücken gefragt. Die sogenannte Ethikkommission blieb einen umfassenden Bericht über die Bereicherungsaktionen schuldig, und das Nationaldirektorium verhinderte durch den Modus der Einheitsliste, daß einzelne Comandantes von der Basis abgewählt werden konnten.

Ortega wird zum roten Tuch

Bei den jüngsten Diskussionen der rebellischen Basis von Managua wurde der Autoritätsverlust des Nationaldirektoriums unübersehbar. Besonders Daniel Ortega, der in seiner Gratwanderung zwischen Cohabitation mit der Regierung Chamorro und Unterstützung der radikalisierten Gewerkschaften immer unberechenbarer wird, der gleichzeitig Weltpolitik betreiben und die Probleme des letzten Campesino kennen will, ist für die Intellektuellen zum roten Tuch geworden. Aldo Diaz, ein altgedienter Funktionär, fordert strategische Entscheidungen „hinsichtlich der philosophischen Grundlagen, der Anwendung der ethischen Prinzipien und der Umstrukturierung der Partei“. Die Basis fordert, die Buchhaltung offenzulegen.

Statt sich mit der Kritik ernsthaft auseinanderzusetzen, maßregelt Ortega die sandinistischen Medien, die die Positionen der Dissidentengruppen relativ prominent präsentierten. Das ehemalige Parteiorgan 'Barricada‘ schlug zurück und rügte die Zensurbestrebungen des Parteivorsitzenden. Seither wackelt der Stuhl des Direktors Carlos Fernando Chamorro, der das Blatt seit zwölf Jahren leitet. Gleichzeitig legte sich Ortega mit Comandante Henry Ruiz an, der als außenpolitischer Sprecher der Partei nach Washington geflogen war, um im State Department ein neues Verhältnis der FSLN zum Erzfeind USA anzubahnen. Auch Comandante Luis Carrion, der sich für ein Jahr von der Politik verabschieden will, um an der Harvard University einen Post-Graduate-Kurs anzutreten, blieb nicht von der Kritik des Obmanns verschont: „Ich glaube nicht, daß es in dieser Situation günstig ist, wenn ein Mitglied des Nationaldirektoriums ins Ausland geht.“ Böse Zungen meinen, daß Ortega fürchtet, der kultivierte Carrion könnte sich in den USA als Kandidat für die Wahlen 1996 profilieren. Überhaupt sehen viele bewährte Sandinisten keine Krise des Sandinismus, sondern eine Krise des Daniel Ortega, der es nicht verkraften könne, daß ihm die Kontrolle über die Partei entgleitet und daß die Machtfülle, die er als Präsident genoß, der Vergangenheit angehört.

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