: Jahrtausendealte Debatte in Europa
■ In der GUS existiert die Todesstrafe weiter/ In Westeuropa meist abgeschafft
Berlin (taz) — Die erste überlieferte parlamentarische Debatte über die Todesstrafe soll im Jahre 427 vor unserer Zeit in Athen stattgefunden haben. Damals gelang es Diodot, die Versammelten davon abzubringen, die Männer der aufständischen Stadt Mytilene auf Lesbos hinzurichten. Über zwei Jahrtausende später veröffentlichte der Italiener Cesare Beccaria eine grundsätzliche Kritik der Todesstrafe. Nach dem Erscheinen seines Werks Über Verbrechen und Strafen (1764) gab es in Italien und anderen Ländern einige kurzlebige Versuche, die Todesstrafe abzuschaffen.
Eine massive und folgenreichere Diskussion über die Todesstrafe setzte in Europa jedoch erst im vergangenen Jahrhundert ein. Den Anfang machte San Marino, das die Todesstrafe im Jahr 1965 abschaffte, gefolgt von Portugal (1867), den Niederlanden (1870), Norwegen (1905), Schweden (1921), Island (1928) und der Schweiz (1942). Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs kam es in Europa zu einer neuerlichen Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafen, die ihren Niederschlag in internationalen Konventionen und in der Reform zahlreicher Strafgesetzbücher fand. Fast alle westeuropäischen Länder verzichteten damals auf die Todesstrafe. Nur eines der Länder, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Kapitalstrafe strichen, führte sie Jahre später wieder ein: die Sowjetunion. 1947 abgeschafft, wurde die Todesstrafe für Verbrechen gegen den Staat und für Mord Anfang der fünfziger Jahre wieder eingeführt.
Die meisten Hinrichtungen in der Sowjetunion fanden in Rußland und der Ukraine statt. Aus dem Jahr 1990 sind dort 208 Exekutionen bekannt. Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben ausnahmslos die Todesstrafe übernommen. Erstmals seit mehreren Jahrzehnten wurden nach Informationen der Menschenrechtsorganisation amnesty international wieder Hinrichtungen in baltischen Staaten vollstreckt.
Radikal gestrichen wurde die Todesstrafe hingegen in den vergangenen Jahren in den mittelosteuropäischen Ländern. Die Diskussion über das Recht, „Schwerverbrecher“ von Staats wegen in den Tod zu befördern, flackert jedoch immer wieder auf — sowohl in Ost- als auch in Westeuropa. Zuletzt versuchten die rechten Ultras im italienischen Wahlkampf mit der Forderung nach der Wiedereinführung der 1947 abgeschafften Todesstrafe Politik zu machen. dora
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