: Wie bei den Bayern
Fußballänderspiel CSFR-Deutschland 1:1/ Lahme Partie der wenig ehrgeizigen Tschechoslowaken gegen Bertis B-Team im leergekauften Rosicky-Stadion ■ Aus Prag Matti Lieske
„Man kann doch nicht erwarten, daß ich bei meinem zweiten Länderspiel gleich auftrumpfe wie bei den Bayern“, rechtfertigte Stefan Effenberg, Mittelfeldsubstitut des kreuzbandgerissenen Lothar Matthäus, seine eher unauffällige Darbietung beim Prager Freundschaftsspiel gegen die CSFR. Genau dies hatte Bundestrainer Berti Vogts jedoch zuvor verlangt. „Wie bei den Bayern“ sollte Effenberg Ball und Gegner zuleibe rücken, und nicht etwa versuchen, als Matthäus- Imitator aufzutreten. Was der Coach nicht bedacht hatte, war, daß, wenn einer spielen soll wie bei den Bayern, möglicherweise alle spielen wie die Bayern — eine Kalamität, die prompt eintrat.
Die deutsche Nationalmannschaft knüpfte dort an, wo sie beim 1:0 im WM-Viertelfinale in Mailand gegen den selben Gegner aufgehört hatte — und da hatte sie Teamchef Franz Beckenbauer immerhin fast zum Herzinfarkt getrieben. Berti Vogts hatte wohlweislich nur zwei Akteure aus der damaligen Elf aufgeboten: Jürgen Klinsmann und Guido Buchwald, denen die Ohren vom kaiserlichen Donnerwetter wohl noch derart klangen, daß sie im Prager Rosicky- Stadion zu denen gehörten, die einigermaßen akzeptabel spielten.
Nachdem sich die erste Garnitur des Berti Vogts vor einem Monat gegen Italien gründlich blamiert und noch dazu verloren hatte, durfte diesmal die Reserve ran, um dem Bundestrainer endgültige Aufschlüsse darüber zu geben, wen er denn am 18.Mai alles für die Europameisterschaft im Juni nominieren soll. Mit Frontzeck, Thom und Wörns waren gleich drei Spieler erstmals von Anbeginn dabei, doch nur der 19jährige Leverkusener Christian Wörns wußte seine Chance beim Schopfe zu ergreifen. Auf der rechten Seite ohne direkten Gegenspieler, nutzte er keck seine Freiheiten und spielte gleich nach fünf Minuten einen klugen Steilpaß auf Häßler, dem dieser eine Flanke folgen ließ, die Klinsmann brotlos spektakulär am Tor vorbeiköpfte. Auch weiterhin spielte der Neuling furchtlos mit und erntete später Lob vom Trainer und von Mitspieler Häßler. „Das kann ein Großer werden“, prophezeite der Mittelfeldstumpen vom AS Rom, dem dieses Attribut wohl auf ewig verwehrt bleiben wird.
Doch auch ein Kleiner kann Großes tun, wie Thomas Häßler bewies. Emsig rannte er auf dem Platz umher, schien in dem müden 22er Haufen oft der einzige Akteur in Bewegung zu sein und bemühte sich um ein flottes Spiel. Auch wenn seinen Anspielen heute die Präzision fehlte. Doch er war allein auf weiter Flur. Der Rest war Lethargie. Die Tschechoslowaken präsentierten sich als äußerst biedere, ambitionslose Mannschaft, die mit einem Unentschieden gegen den Weltmeister hochzufrieden war. Und dem deutschen Team fehlte jegliche Inspiration. Langsam, umständlich, betulich, ohne Überraschungseffekte plätscherte sein Spiel dahin. Kaum sind die Spieler ihres gewohnten Vereinsschemas beraubt, wissen sie nicht mehr, was sie tun, wohin sie laufen, wohin sie spielen sollen.
Nur Rudi Völler spielte wie beim AS Rom — und wie es ihm die italienische Presse seit langem vorwirft: harmlos und nur dann präsent, wenn sich die Chance bietet, den gegnerischen Torwart anzufallen. So selten kam er an den Ball, daß die obligatorischen Ruuudiii-Rufe geradezu gespenstisch wirkten. In der zweiten Halbzeit merkten das auch die Fans, und zum ersten Mal seit Jahren durfte Völler wieder ohne Rudi-Raunen das Leder treten.
Immerhin erwirkte er jenen Freistoß, den Häßler in der 40. Minute zum 1:0 aus 25 Meter ins Netz setzte, ansonsten durfte Jürgen Klinsmann seinen von Inter Mailand gewohnten Part als einsamer Cowboy in der Sturmspitze darbieten und in der zweiten Halbzeit noch zwei Großchancen versieben. Zuvor hatte Bilek in der 43. Minute einen Elfmeter verwandelt, als Helmer den hühnenhaften Skuhravy vor dem Strafraum geschubst hatte, dieser sich schlauerweise aber erst im Strafraum fallen ließ. 1:1 hieß es auch am Ende, nachdem der eingewechselte Andreas Möller dem schaurigen Schauspiel im angeblich ausverkauften, aber mit etwa 10.000 Zuschauern nur halbvollen Rosicky-Stadion immerhin noch drei Glanzlichter aufgesetzt hatte: zwei raumgreifende Sprints durchs Mittelfeld und einen durchtriebenen Absatzkick.
Fragte man hinterher die beteiligten Kicker nach ihrer Meinung zum Match, waren sie alle ziemlich zufrieden. „Auswärts unentschieden, ist doch nicht schlecht“, gab Stefan Effenberg den allgemeinen Tenor wieder, so als habe man gerade einen wichtigen Punkt gegen den Abstieg ergattert. Wie bei den Bayern eben.
Etwas ehrlicher war der in der zweiten Hälfte eingewechselte Matthias Sammer. Ob er denn aufgeregt gewesen sei auf der Bank? „Aufgeregt? Ich bin bald eingeschlafen.“ Ähnlich ging es auch den ZuschauerInnen, die sich, bevor sie eilig zu den reich gesäten Prager Bierhähnen abwanderten, noch ein lustloses Pfeifkonzert abrangen.
Und der Bundestrainer? „Sehr wichtige Hinweise“ habe er bekommen, freute sich Berti Vogts, mochte aber nicht genau verraten, um welch tiefschürfende Fingerzeige es sich handelte. Daß seine B-Mannschaft auch nicht besser ist als die A- Mannschaft vermutlich — ohne Zweifel eine wesentliche Erkenntnis — und daß er seinen Leuten das nächste Mal vielleicht doch lieber nicht sagt, sie sollen wie die Bayern spielen.
Deutschland: Köpke (1. FC Nürnberg/30/2) - Binz (Eintracht Frankfurt/28/9) - Helmer (Borussia Dormund/27/7), Buchwald (VfB Stuttgart/31/49) - Wörns (Leverkusen/19/1), Häßler (AS Rom/25/27 - 81. Möller/Eintracht Frankfurt/24/20), Effenberg (Bayern München/23/5), Thom (Bayer Leverkusen/26/2/61 DDR - 67. Sammer/VfB Stuttgart/24/5/23 DDR), Frontzeck (VfB Stuttgart/28/17) - Völler (AS Rom/32/81), Klinsmann (Inter Mailand/ 27/35).
Zuschauer: 13.000
Tore: 0:1 Häßler (39.), 1:1 Bilek (41./Foulelfmeter).
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