: Angst vor dem Monsun, Angst vor der Rückkehr
In den überfüllten Lagern und wilden Camps der Flüchtlinge in Bangladesch drohen mit einsetzender Regenzeit Seuchen ■ Von Bernhard Imhasly
Die offizielle Zahl der birmesischen Flüchtlinge in Bangladesch hat inzwischen 210.000 erreicht, aber wahrscheinlich strömen noch viel mehr der auf insgesamt zwei Millionen geschätzten EinwohnerInnen der Provinz Arakan seit über einem Jahr in die südlichen Distrikte von Bangladesch. Denn viele von ihnen sind wohl einfach untergetaucht in der großen Menge derer, die sich in diesem Land ohnehin immer auf der Flucht — oder vielmehr der Suche nach Zuflucht — befinden.
Das UNO-Flüchtlingswerk übernimmt die Aufgabe, Geld aufzutreiben, Zelte und Medikamente bereitzustellen und die Arbeit einiger privater Hilfswerke zu koordinieren. Die Hauptaufgabe bleibt jedoch in den Händen der Regierung: An acht Kontrollpunkten werden die neu eintreffenden Flüchtlinge registriert und einer ersten medizinischen Prüfung unterzogen; darauf werden sie einem der inzwischen zwölf Lager zugewiesen; dort erhalten sie Rationenkarten, die jeden einzelnen zu 500 Gramm Reis, 60 Gramm Linsen und 20 Gramm Kochöl pro Tag berechtigen. Dies ist zumindest das Bild, das sich dem Besucher des „Control Room“ im Büro des Relief Commissioners in Cox's Bazar südlich von Chittagong präsentiert.
Die Fahrt von dort nach Teknaf, dem Schmuggeldorf an der Südspitze eines Landkeils, der durch das Meer und den Grenzfluß Naaf gebildet wird, zeigt allerdings, daß der immer noch anhaltende Zustrom der Flüchtlinge diese Aufgabe dramatisch zu verändern beginnt: die meisten Menschen, die sich —für teures Geld— über den Naaf setzen lassen oder aber weiter oben in den Hügeln auf einem der vielen Trampelpfade die offene Grenze überschreiten, werden zwar registriert. Doch die vorbereiteten Lager sind überfüllt, und so landen mehr Flüchtlinge in einem der riesigen Slums von Dudumia. Zuerst an den Straßenrändern, dann die Böschungen hinauf, an Talflanken und in die Hügeleinschnitte hinein haben sie sich mit dünnen Ästen und Blattwerk Buschhütten gebaut. Die Rohingyas strömen in den dichtestbevölkerten Landstrich der Welt, wo praktisch jeder Quadratmeter bereits genutzt wird. Die einzige Ausweichmöglichkeit sind die Jungwälder der Hügelzüge, welche die Regierung der Besitznahme abgerungen und wo sie begonnen hat, den durch den Bedarf an Feuerholz verursachten Kahlschlag aufzuhalten.
Bedrohlich sind die gesundheitlichen Risiken. Zwar hat die Regierung Tausende von Trockenlatrinen eingerichtet, aber diese sind oft bereits verstopft, und viele liegen auch am falschen Ort, in den noch freien Waldpartien oberhalb der Lager. In wenigen Wochen beginnt der Monsun. Dann werden die Fäkalien in die Lager und Wasserstellen geschwemmt werden, Epidemien sind die wahrscheinliche Folge. In Adarshagram, einem vergleichsweise gut eingerichteten Camp, mußten in den letzten zwei Monaten bereits zwei Drittel der rund 11.000 Flüchtlinge medizinisch behandelt werden. Wasser wird in den seltensten Fällen richtig abgekocht, denn Feuerholz, das sich die Menschen in dem gerade hochschießenden Jungwald suchen, wird bereits rar. Die Regierung hat das „Forest Department“ inzwischen angewiesen, gratis Brennholz bereitzustellen. Dieses aber sträubt sich gegen die Abholzung.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die lokale Bevölkerung Ressentiments entwickelt. „Vergessen wir nicht“, meint ein Entwicklungshelfer aus Bangladesch, „daß etwa 50 Prozent der Bevölkerung unserer eigenen Hauptstadt immer so lebt wie nun diese Flüchtlinge aus Birma.“ Noch kann der UNHCR-Vertreter Mitchell Carlson loben, er habe erst von einer einzigen tätlichen Auseinandersetzung gehört, „bei einer Population von 200.000 Flüchtlingen in einer der ärmsten Regionen der Welt gewiß eine bemerkenswerte Toleranzbreite“. Ethnische Verwandtschaft und religiöse Solidarität spielen dabei eine wesentliche Rolle. Der wichtigste Grund für die beispielhafte Toleranz ist aber die große Leidensfähigkeit der BewohnerInnen des Landes, die nur wenig Besitzansprüche zu verteidigen haben und von dessen Verlust sie ständig bedroht sind —ein vielsagender Kontrast zum Verhalten der reichen welt, deren ungleich größere materielle Polsterung paradoxerweise eine weit geringere Berührungsfähigkeit zu erlauben scheint.
Doch Regierung und UNHCR, meint Carlson, sollten schon jetzt über Maßnahmen nachdenken, die den physischen und psychologischen Druck der Flüchtlinge auf die Bevölkerung lockert, ähnlich dem „Affected Thai Villages Programme“ an der Grenze zu Kampuchea, wo Gesundheitsdienste und spezielle Ernährungsprogramme für Flüchtlinge auf die umliegenden Dörfer ausgedehnt wurden.
Zwar behauptete UN-Generalsekretär Butros Ghali vorgestern, er habe birmanische Zusagen, die Geflüchteten könnten unter UN-Aufsicht zurückkehren. Doch keiner der befragten Flüchtlinge schien unter dem gegenwärtigen politischen Regime dazu bereit. „Ich werde erst wieder in mein Dorf gehen, wenn Suu Kyi an der Macht ist“, meinte etwa Mustaffiz Rahman, kaum hatte er am Morgen des 10. März seinen Fuß auf bengalisches Territorium gesetzt. „Eher esse ich diese Erde und sterbe hier, als zurückzukehren.“
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