piwik no script img

Allergisch gegen „Zwerge“

■ „Kleine Menschen - Große Kunst“ / Kleinwüchsige in der Kunstgeschichte

Heute back' ich, morgen brau' ich, übermorgen hol' ich der Königin ihr Kind. Zwerge, hier Rumpelstilzchen, sind böse — oder hilfreich wie die Kölner Heinzelmännchen. Sie haben meist einen Bart und sind oft weise und immer klein. Aus Märchen und Sagen kennen wir Zwerge, Alben, Liliputaner. Doch auch die bildende Kunst hat an unserem Zwergenbild mitgewirkt. Die Kunstgeschichte ist ungewöhnlich reich an Bildern und Zeichnungen mit Zwergen: Hofzwergen, burlesken Figürchen, Zirkusattraktionen. Eine Ausstellung in der Unteren Rathaushalle in Bremen gibt jetzt Einblick in dieses bisher fast unbekannte Genre.

Die Bilder hängen in einer Höhe, wo normal aufgeschossene Norddeutsche den Bauchnabel haben. Die Menschen, die die Ausstellung „Kleine Menschen — große Kunst“ organisiert haben, reagieren allergisch „Zwerg“ oder „Liliputaner“: Die „Elterngruppe kleinwüchsiger Kinder“ geht an die Öffentlichkeit. In der kommenden Woche, vom 1.-3.Mai findet ein internationaler Kongreß von Eltern- und Betroffenengruppen in Bremen statt.

Gut 2000 Jahre v.Chr. entstand als Grabbeigabe eine kleine Figurengruppe mit einem Kleinwüchsigen: dem Hofzwerg und Vorsteher der Weberei Seneb. Das älteste Beispiel in der Ausstellung. In Pompeji hat man Wandbilder mit Pygmäen ausgegraben. Renaissance-Fürsten liebten es, sich mit „Hofzwergen“ porträtieren zu lassen, nebst Schmusehündchen. Den kunsthistorischen Fischzug machte ein Orthopäde, der von Berufs wegen mit Kleinwüchsigen zu tun hat: Dr.Alfred Enderle. Viele Bekannte entdeckt man hier: Callot, Rubens, van Dijk, Velazquez, Goya und die Karikaturisten James Gillray und George Cruikshank. Bis hin zu Max Beckmanns „Zirkuswagen“.

Weit über den Rahmen von Ausstellung und Kongreß geht die Publikation „Kleine Menschen — Große Kunst. Kleinwuchs aus künstlerischer und medizinischer Sicht“ hinaus(Artcolor-Verlag, 49.-). Von Enderle, Gerd Unverfehrt und dem Göttinger Kunsthistoriker Dietrich Meyerhöfer herausgegeben, versammelt sie medizinische, psychologische, literatur- und kunstwissenschaftliche Beiträge. Und mit Irritation: Mediziner Enderle versucht bei jedem der 116 Exponate, eine Diagnose zu stellen. Achondroplasie? Osteomalazie? Zwei von hundert Möglichkeiten. Bus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen