piwik no script img

„Die sollen sehen, was sie getan haben“

Morgen beginnt vor dem Duisburger Landgericht der Prozeß gegen drei Rechtsradikale, die im Oktober im westfälischen Hünxe einen Brandsatz in die Wohnung einer libanesischen Familie warfen und zwei Mädchen schwer verletzten  ■ Aus Hünxe Bettina Markmeyer

Bei den Saados läuft der Fernseher. Vater Fauzi hat das Video eingelegt, das zeigt, wie Deutsche Krieg führen gegen seine Töchter. Vor vier Jahren sind seine Frau Zeibede und er mit vier Kindern aus Beirut geflohen, um die Familie vor Bomben und Bränden zu bewahren.

In der Nacht zum „Tag der Deutschen Einheit“, am 3. Oktober letzten Jahres, hat nicht viel gefehlt, und drei Kinder wären im westfälischen Hünxe verbrannt — im Schlaf ermordet von Rechtsradikalen, die einen Molotowcocktail durchs Fenster geschleudert hatten. Das Bett und die Nachthemden der Töchter Zeinap und Mukadas fingen sofort Feuer. „Ich habe gerochen, wie ihr Fleisch verbrannte“, hören die Saados das Familienoberhaupt im TV sagen.

Die achtjährige Zeinap hockt in einem Sessel, die Beine angezogen und betastet ihre Waden, während ihre Augen zwischen dem Fernseher und der Mutter hin- und herwandern, die versucht, die beiden jüngsten, in Deutschland geborenen Söhne abzulenken. Zeinaps Waden sind ganz dünn, von den Knien abwärts sind nur ihre Fußsohlen unversehrt, alles andere ist verbranntes Fleisch — verheilt unter einer dünnen Haut —, das noch heute so aussieht, als schmore es unter unsichtbaren Flammen weiter.

Zerfressen hat das Feuer auch die Oberarme, und Zeinap erzählt mit ihrer von der künstlichen Beatmung geschwächten Stimme, wie die anderen Kinder in der Schule von ihr wissen wollten, wozu das hautfarbene Leibchen gut sein solle, das sie trägt, wenn sie aus dem Haus geht. Sie wollte nicht, aber schließlich hat sie doch einigen Kindern ihre wüsten Narben gezeigt. Zeinap ist tapfer, und Zeinap ist schön, sie „kann wieder lachen“, wie 'Bild‘ groß verkündete. Ja, Zeinap lächelt, als wolle sie denen, die voller Schrecken ihre Füße gesehen haben, ihr klares Gesicht zum Trost geben.

Für sie und ihre sechsjährige Schwester Mokadas ist das Video- Gucken eine Qual: „Manchmal weinen sie“, klagt Salma, die Älteste. Wie unter Zwang schaut sich Vater Fauzi den Beitrag des 'Spiegel-TV‘ trotzdem wieder und wieder an. Die sechsjährige Mokadas erlitt Verbrennungen am rechten Arm, der Hand und im Gesicht. Wie Zeinap verbrachte sie zwei Monate im Krankenhaus. Der kleine Mohammed blieb fast unverletzt. Seit Januar wohnt die Familie in einer Hochhauswohnung in Duisburg. Doch Hünxe ist allgegenwärtig.

Am Dienstag beginnt vor dem Duisburger Landgericht der Prozeß gegen die drei 18- und 19jährigen Täter. Sie sind angeklagt wegen versuchten Mordes, schwerer Brandstiftung, Sachbeschädigung und Waffenbesitzes. Nicht angeklagt sind sie, die sich die Ausländer-Austreibung von Hoyerswerda zum Vorbild nahmen und als Skins zum Kern der rechten Hünxer Jugendszene gehörten, wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Verminderte Steuerungs- und Schuldfähigkeit

Die Tat sei, so die Anklageschrift, im Zustand verminderter Steuerungs- und damit Schuldfähigkeit begangen worden. Denn Volker L., Jens G. und André C. hatten vorher mit Gleichgesinnten auf einer „doitschen“ Vereinigungsfete gesoffen. Vier Tage nach dem Anschlag wurden sie gefaßt und sitzen seitdem in Haft. Fauzi Saado will seine ganze Familie zum Gericht mitnehmen, auch wenn seine Töchter sich davor fürchten: „Diese Rechtsradikalen sollen sehen, was sie getan haben!“

Das rote Klinkerhaus in der Dorstener Straße, wo Saados nach dem Brandanschlag vom Erdgeschoß unters Dach zogen, liegt direkt am Gehsteig. Die zahlreichen Fenster haben jetzt Sicherheitsglas, auf dem Dach springen Bewegungsmelder an, wenn sich nachts irgendwer nähert. Meistens sind es Katzen. Um den Hof und den flacheren Anbau, wo Roma eingezogen sind, hat die Stadtverwaltung einen Zaun ziehen lassen. Dahinter und davor spielen Kinder; ihr Geschrei mischt sich mit dem Vogelgezwitscher aus blühenden Obstbäumen. Gegenüber wohnen deutsche Nachbarn, die Fauzi Saado stets als „die alten Leute“ bezeichnet, obwohl es sich keineswegs nur um Greise handelt.

Direkt nach dem Anschlag hatte er noch von „Faschisten“ gesprochen. Das tut er jetzt nicht mehr. Die Hünxer haben es ihm sehr übelgenommen, als die Lokalzeitung ihn zitierte mit dem Satz: „Diese Dorf alles Faschisten!“ Jetzt sagt er: „In Hünxe sind zu viele Rechtsradikale und alte Leute.“ Die „Alten“, das sind für Saado die, die nicht grüßen, die weggucken, die nie gefragt haben, wie es seinen Kindern geht, die aber hinter der Gardine jede Bewegung der Familie verfolgt haben.

Eine jugoslawische Familie zog nach dem Anschlag „freiwillig“ ins Asyl-Massenquartier im Hünxer Stadtteil Bucholtwelmen. Dort leben die Eltern mit vier kleinen Kindern nun in einem Raum. Doch, sagt die Frau, die Angst hat, ihren Namen zu nennen: „Es ist besser hier“, weil ihre Kinder, die mit den Saado-Kindern eng befreundet waren, nun wieder schlafen können. Nach dem Anschlag seien nachts noch zweimal Männer aufs Dach der Asylunterkunft geklettert. Ihre Kinder hätten ab da im Bett auch noch die Schuhe anbehalten wollen.

In Bucholtwelmen wollte Ingrid Heyne Deutschunterricht geben. Die Stadtverwaltung verbot es ihr. Mit 50 anderen Hünxern hat die Grüne Anfang Februar den „Runden Tisch Flüchtlinge“ gegründet. Die Engagierten lernten sich auf den nächtlichen Mahnwachen vor Hünxer Asylunterkünften kennen und wollten nach dem Ende der Wachen nicht wieder in Untätigkeit verfallen. Nun studieren sie Asylverfahren, helfen bei Behördengängen, veranstalten Kindernachmittage und fahren mit zum Arzt. Ingrid Heyne hat mehreren Asylbewerbern Arbeitsstellen beschafft. Doch ihre Aktivitäten werden mißtrauisch beäugt.

Der Riß geht mitten durch die Familien

Alle Hünxer Parteien außer den Grünen haben es abgelehnt, den „Runden Tisch“ zu unterstützen. Abgelehnt hat es der Gemeinderat nach dem Brandanschlag auch, mit Informationen über Flucht- und Wanderungsursachen für mehr Verständnis in der Hünxer Bevölkerung zu werben. Das sei „Sache der Bundespolitik“. Drei Tage vor dem Anschlag jedoch hatten die Ratsfraktionen von SPD, CDU und FDP eine Resolution an eben diese „Bundespolitik“ gerichtet, in der sie Einreiseverbote, Sammellager und konsequente Abschiebungen verlangten.

Die Hünxer Bevölkerung hat sich nach dem Anschlag weiter polarisiert. Ein — gemessen an vergleichbaren Gemeinden — erheblicher Teil engagiert sich für die Flüchtlinge. Viel mehr der 14.000 Einheimischen jedoch fühlen sich von den 400 Asylsuchenden im Ort zumindest belästigt. Weil der Pfarrer Martin Duscha immer wieder den Zusammenhang zwischen Gleichgültigkeit und Aggression, zwischen Asylpolitik und rechtsradikaler Gewalt herstellte, traten evangelische Hünxer aus der Kirche aus. Auch das Verhältnis zwischen Kirche und Rathaus verschlechterte sich. Die allermeisten Hünxer jedoch wollen nicht mehr an den Anschlag erinnert werden und fürchten, „daß der Prozeß alles wieder hochkocht“.

Hannelore Schmidt, Mutter zweier Kinder und eine der ganz wenigen, die bereits vor dem Anschlag in der wöchentlichen Teestube der evangelischen Gemeinde mit Flüchtlingen zu tun hatte und die Saado- Kinder zum Spielen zu sich nach Hause holte, weiß, daß in puncto Flüchtlinge „der Riß durch die Familien geht“. Auch ihr, der gebürtigen Hünxerin, brachte der Kontakt zu den Saados die Mißbilligung der Verwandten. Und ihr Mann hat's nicht leicht mit seinen Parteifreunden von der CDU, seit er beim „Runden Tisch“ mitmacht. Mehrere Mitglieder des „Runden Tisches“ und Pfarrer Duscha erhalten seit Wochen Drohanrufe und anonyme Post.

Schlimmer als für die Deutschen sind solche Anrufe aber für den Libanesen Youssef Hijazi, der mit seiner Familie noch immer im Heim an der Dorstener Straße wohnt, obwohl er, wie die Saados, nach dem Anschlag so schnell wie möglich wegwollte. Weg aus Hünxe, wo er nicht mehr einkaufen gehen mag, weil er ständig angestarrt wird, weg in eine größere Stadt, „wo ich nicht auffalle — wie ein Tropfen in einem See“. Hijazi macht beim „Runden Tisch“ mit, übersetzt, kümmert sich um andere Asylbewerber. Aber er ist hilflos, wenn diese Anrufe kommen, wenn junge Stimmen am Telefon den Mädchen der Familie, die gut Deutsch sprechen, „ein Geschenk, größer als das für die Saados“ androhen.

Die Kinder schaffen nachts ihre Matratzen auf den Flur, wo es keine Fenster gibt, und schlafen dort. In der Schule sind sie schlechter geworden und zittern vor Angst, wenn sie nachts draußen Geräusche hören. „Damit“, sagt Youssef Hijazi, „müssen wir leben.“ Er selbst hält noch immer jede Nacht Wache.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen