: Die männlichen Codes
■ L7 spielten im Berliner Loft
Hier haben wir L7. Grunge-Rock mit Frauenbonus. Das wird eingekauft. Dachte sich wahrscheinlich Warner Brothers. Es wurde eingekauft. Raus kam mit Bricks Are Heavy ein klasse Heavy- Metal-Album, das beste dieses Jahres bisher. Und mit Pretend We're Dead noch ein mittelschwerer Hit. Das Strickmuster mag einfach erscheinen: eine eingängige Melodie, schwer dröhnende Gitarren, ein sich ruhig und dumpf dahinwälzender Rhythmus, Desillusion im Text. Möglicherweise die nächsten Nirvana. Nicht so schlecht gedacht von Warner. Das Loft platzte aus allen Nähten. Wie vor gut einem Jahr bei Nirvana, als die gerade ihre ersten 200.000 Stück verkauft hatten. Über den Vergleich sind sie sich durchaus bewußt. Sie spielen Smells Like Teen Spirit an und brechen ab: „Don't believe the hype.“ Wie immer das gemeint ist.
Doch mehr als die neuen Nirvana sind L7 die neuen Runaways. Die Zeiten haben sich geändert. Während die noch Kim Fowley brauchten, inszenieren sich L7 selbst. Also vielleicht eher die neuen Girlschool. Die Schlampen, die mit den Jungs tun, was die gerne mit den Schlampen tun würden. Tun nichts anderes als die Jungs. Tun nichts anderes, als Rock spielen. Tun es mindestens genausogut. Einige der anwesenden Herrschaften fühlen sich durch die umgekehrten Vorzeichen auf den Schlips getreten. Zwischen den Stücken entwickeln sich kurze Wortwechsel. Die Aufforderung „Ausziehen“ wird beantwortet mit: „Wir sind angezogen zu eurer Sicherheit, nicht zu unserer.“
Was wäre, wenn L7 aus Männern bestünde? Mit Sicherheit ist das natürlich nicht zu sagen, aber vermuten darf man schon, daß L7 eine Metal- Band unter vielen wäre, daß einige bestenfalls den Verrat an der Independent-Idee beklagen würden. Als Frauen stellen sie einfach dadurch, daß sie dieselben Codes wie die Männer benutzen, den Metal als eines der letzten Refugien der Zurschaustellung männlicher Einzigartigkeit und Potenz bloß. Trotzdem ist Bricks Are Heavy eine große Metal-Platte, weil sie die manirierten männlichen Falsettstimmen durch deutlich artikulierende weibliche Organe ersetzt, die auf den Punkt zusingen, aber doch immer Muße für etwas Eleganz haben, nie jedoch in Bangles-Süßlichkeit abschmieren.
Das Konzert bringt den Metal aber nicht so eindeutig, so klar und scharfumrissen wie auf der letzten Platte. Es ist eher ein Rückfall in die bratzigen Zeiten bei SubPop, beim Grunge, wo der dumpf dümpelnde Rhythmus die Zähigkeit des Sounds bestimmte. In manchen Momenten wird es gar Skate-Punk, und L7 sind eine weitere Band, die beweist, daß der Wechsel zur Industrie niemandem mehr schaden muß. Thomas Winkler
Tourneedaten: 28.April Köln, Luxor; 1.Mai München, Nachtwerk.
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