: Zäher Start im Prozeß gegen Irak-Lieferanten
■ ÖTV-Streik, Verzögerungsmanöver der Verteidigung und eine Bombendrohung sorgten für erste Schwierigkeiten
Darmstadt (taz) — Nur stockend kam am Montag vor dem Landgericht Darmstadt die Wahrheitsfindung in Gang. Kaum hatte der mit Spannung erwartete Prozeß um die Beteiligung deutscher Firmen an Iraks Chemiewaffenprogramm begonnen, ließ der Vorsitzende Richter Alfred Pani die Hauptverhandlung um elf Uhr schon wieder unterbrechen. Ein anonymer Anrufer hatte angedroht, gegen halb zwölf werde im Gericht eine Bombe hochgehen. Polizeiexperten suchten vergebens; der Knall blieb aus.
Die Einlage des anonymen Scherzboldes mag den Anwälten der insgesamt zehn angeklagten Manager gar nicht so ungelegen gekommen sein, ebensowenig wie der Streik im öffentlichen Dienst, der bereits in der Frühe die pünktliche Anreise etlicher Beteiligter verhindert hatte. Denn die Verteidigung setzt auf Verzögerung. Da bemängelte ein Anwalt, ganz rechtsaußen plaziert, die Nähe seines Sitzplatzes zur ersten Pressebank. Die Journalisten könnten ja seine Notizen mitlesen und müßten deshalb aus dem Saal gewiesen werden. Sein Kollege mit Sitzplatz ganz links drüben nörgelte, er sitze zu nahe bei den beiden Staatsanwälten; die wollte er zwar nicht gleich des Saales verwiesen sehen, klagte aber eine deutlichere räumliche Trennung der Prozeßparteien ein. Ein Advokat aus der Mitte des Feldes schließlich bemängelte die schlechte Luft im Saal. Nach kurzer Beratung wies Richter Pani, dessen Auftreten eine souveräne Verhandlungsführung erwarten ließ, alle Anträge auf Raumwechsel zurück: „Die Justiz muß die Räume benutzen, die sie hat“ — auch wenn's eng wird.
Da die zehn Angeklagten samt ihren 23 Verteidigern sowie gleich sieben vom Gericht bestellte wissenschaftliche Gutachter gut zwei Drittel des altehrwürdigen Saales füllen, war auch für die Presse der Platz knapp. Schon ab sieben Uhr morgens standen die Journalisten, einige eigens aus Israel, den USA und Japan angereist, Schlange um die 36 abgezählten Platzkarten für Berichterstatter. Auf den ernsten Hintergrund des vormittäglichen Possenspiels wiesen vor dem Gericht Aktivisten der Gesellschaft für bedrohte Völker mit Großfotos von kurdischen Opfern irakischer Giftgasattacken hin.
Nachdem das Gerichtsgebäude High-noon heil überstanden hatte, sollte am Nachmittag die 266 Seiten dicke Anklageschrift vorgetragen werden. Sie wirft den Beschuldigten vor, durch Lieferungen von Anlagen und Chemikalien zur Produktion von Kampfgasen in den Irak zwischen 1983 und 85 das Außenwirtschaftsgesetz verletzt zu haben. Zur Tatzeit sah das mittlerweile mehrmals verschärfte Gesetz für Verstöße eine Höchststrafe von drei Jahren vor. Der Prozeß wird heute fortgesetzt und wird voraussichtlich zwei Jahre dauern. Th. Scheuer
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