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Kollektive Sprachlosigkeit

■ »Katzelmacher« von Faßbinder im Magazin am Kurfürstendamm

Was tun, wenn das Leben keine Inhalte bereithält? Wenn der Frust über Perspektivlosigkeit übermächtig wird und das unzureichende Sprachvermögen keine Hilfe ist, um die Leere zu füllen, um zu reflektieren und die eigene Situation zu verarbeiten? Erich, Paul, Gunda, Helga und Bruno greifen zu dem, was ihnen als einziges zu bleiben scheint — nämlich zur Unterdrückung und Gewalt gegen die, die noch weiter außen stehen: gegen die Arbeitsplatzdiebe, die ewig geilen Vergewaltiger und Kindermacher, die Fremden — die »Katzelmacher« eben, wie Gastarbeiter im Bayrischen gern beschimpft werden.

1968 hat Rainer Werner Faßbinder den Katzelmacher geschrieben und in seinem »antitheater« inszeniert. Das Stück hat keine konkret formulierten Lösungen zu bieten, es ist keine soziologische Abhandlung über gesellschaftliche Mißstände. Katzelmacher gehört zu einer Ende der sechziger Jahre wiederentdeckten Theaterform, dem kritischen »Volksstück«, das sich — entgegen der bürgerlichen Theatertradition — der Sprache bedient, die vom »Volk« gesprochen wird. Katzelmacher erklärt nichts. Der Text führt vor, um einerseits so die gezeigten Mechanismen fühlbarer zu machen und zum anderen auch ein anderes als das sonst übliche Publikum in die Theater zu holen. Von seiner Aktualität hat das Stück nichts eingebüßt, wie man derzeit im Magazin am Kurfürstendamm sehen kann.

Martin Woelffer hat die kurzen, schnellen Szenenfolgen wirkungsvoll umgesetzt: In einem Stilleben aus Gittern, Bänken und Bierbüchsen (Bühne: Christiane Nöfer) dumpft die jugendliche Clique in den Tag hinein. Die Schulzeit ist vorbei, und Arbeit gibt es nicht. Die einzige erfolgreiche Ex-Mitschülerin aus dem Viertel ist Elisabeth (Nela Bartsch). Für ihren kleinen Laden heuert sie einen Gastarbeiter an — nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um Lohn und soziale Abgaben gering zu halten.

Konsequenterweise ist die Rolle des Katzelmachers in dieser Inszenierung mit einem polnischen Schauspieler besetzt: Aleksander Trabczynski spielt einen sanftmütigen, naiven Außenseiter, der vorerst Sympathieträger ist. Auf ihn stürzt sich die gesamte Clique, mit Worten und Blicken zunächst, später dann handgreiflich. Die Gruppe wirkt nur nach außen homogen, innen zerfällt sie in untereinander konkurrierende Splitter. Die Frauen übertrumpfen sich mit Schminke und Kleidern, die Männer mit Großmäuligkeit und Hahnenkämpfchen. Erich (Matthias Zahlbaum) schlägt heimlich seine Freundin Marie (Angela Schmid- Burgk), Paul (Thomas Hoffmann) hat große Sorgen, weil Helga (Eva Mannschott) von ihm schwanger ist. Anstatt nun intern die Probleme zu klären, richten sie ihre Aggression nach außen, auf den Katzelmacher eben, der schon allein wegen seiner Sprachschwierigkeiten genügend Angriffsfläche bietet.

Wie wilde Tiere in Käfigen bewegen sich die Schauspieler hinter oder vor den Gittern, die Figuren sind gefangen in ihrer eigenen Unfähigkeit und Unzulänglichkeit. Denken haben sie nie gelernt. Die kurzen Szenen werden durch Blacks und gewalttätig klingende Musikeinspielungen (die bezeichnenderweise Night in motion oder Slaughterhouse heißen) voneinander getrennt. Manchmal passiert in den Szenen gar nichts. Leer und stumpf blicken die Schauspieler dann ins Nichts, bis nach einigen Sekunden der Black die Sequenz wieder ablöst, und die kollektive Sprachlosigkeit durch Leerformeln ersetzt wird.

Es sind fast ausweglose, triste Strukturen, die hier klar umrissen vorgeführt werden. Mit simplem Schwarz-weiß-Denken ist dem nicht beizukommen. Denn so wenig man die einzelnen Mitglieder der Gruppe gänzlich verurteilen möchte, so wenig ist auch der Ausländer die eindeutige Sympathiefigur. Ganz am Ende, als er erfährt, daß er einen rumänischen Kollegen zur Seite bekommt, entwickelt der Katzelmacher schon im Vorfeld dem Fremden gegenüber die gleichen Antipathien, die eben erst ihn mit geballter Wucht erreicht haben. Anja Poschen

Nächste Vorstellungen: heute abend und am 30. April und 1./2. Mai, jeweils 20.30 Uhr im Magazin am Kurfürstendamm, Eingang Kudamm-Karree.

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