: Deutsche Vorherrschaft
■ Eine Ablehnung von Maastricht wäre selbstmörderisch
Wird Frankreich den Coup von 1954 wiederholen? Werden die Franzosen 38 Jahre nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) erneut ein europäisches Projekt zerstören, das sie zum großen Teil selbst inspiriert haben? Keine politische Kraft in Frankreich scheint heute eindeutig für den Vertrag von Maastricht zu sein. Selbst die Parteien der politischen Mitte, Sozialisten und UDF, besinnen sich ihrer nationalen Habseligkeiten. Die Versuchung ist offensichtlich groß, 20 Jahre Europa für zwei Jahre ungestörte Präsidentschaft zu opfern. Dies wäre eine grausame Paradoxie, wenn ausgerechnet der engagierte Baumeister der europäischen Konstruktion, Francois Mitterrand, zum Katalysator der Verweigerung würde.
Es gibt eine Reihe von Analogien zum Jahr 1954. Damals waren die politischen Parteien Frankreichs völlig zersplittert. Dies ist auch heute wieder der Fall. Eine schwierige Situation: denn obwohl die Regierungen fast aller zwölf Länder geschwächt und instabil sind, sollen sie den Wählern die europäische Einigung schmackhaft machen. In einigen Ländern, vor allem in Dänemark, ist ein Erfolg nicht garantiert. Wie 1954, nach dem Tode Stalins, geht Europa auch heute wieder mit sich selbst zu Rate. Dabei geht es heute nicht so sehr um die Verteidigung als vielmehr um eine einheitliche Währung.
Außer Deutschland ist zur Zeit kein europäischer Staat wirklich im Besitz von Souveränität in Wirtschafts- und Währungsfragen. Unsere einzige Chance, in diesen Bereichen Unabhängigkeit zu erlangen, besteht in der in Maastricht frei vereinbarten Interdependenz. Es wäre selbstmörderisch für Europa, jetzt nicht das Angebot Deutschlands anzunehmen, das nicht auf ewig bereit sein wird, seine D-Mark aufzugeben. Solange die Vereinigung utopisch erschien, war die Gemeinschaft die einzige Alternative für Deutschland. Dies ist nicht länger der Fall. Eine Ablehnung von Maastricht käme der Aufforderung an Deutschland gleich, sich auf seinen anderen Schicksalsweg zu besinnen — der Suche nach einer kontinentalen Vorherrschaft, die weder Frankreich oder Großbritannien noch die Elf zusammen kontrollieren könnten. André Riche
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