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Potentielle Saboteure

Die Fotoreporter Hansel Mieth und Otto Hägele in den Sozialkämpfen der USA  ■ Von Christian Gampert

Johanna Mieth und Otto Hägele aus dem schwäbischen Fellbach sind Ende der zwanziger Jahre nach Amerika ausgewandert. Schon vorher hatten sie per Fahrrad und zu Fuß versucht, der Kleinstadt bei Stuttgart zu entfliehen: Als 18jährige waren sie immerhin bis in die Türkei gekommen. „Die Angst vor einem aussichtslosen Lebensweg“ habe sie fortgetrieben, sagten sie der amerikanischen Zeitschrift 'Life‘, für die sie seit 1937 als Fotoreporter arbeiteten. Eine Auswahl ihrer Bilder ist jetzt im Tübinger „Deutsch-Amerikanischen Institut“ zu sehen — sie erzählen einige gern verdrängte Kapitel aus der Sozialgeschichte der USA, und sie erzählen auch, wie man sich als Arbeitsloser während der großen Wirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre politisch einmischen konnte: durch Fotos, die man bei jenen Gelegenheitsjobs schoß, mit denen man sich über Wasser hielt.

Das erste bezahlte Foto des Otto Hagel, wie er sich zwecks leichterer Aussprache nun nannte, ist mit Selbstauslöser gemacht, gleichwohl in der Bewegungsdynamik präzis komponiert: Es zeigt Hagel als Fensterputzer 1929 hoch über den Straßen von San Francisco. Über Bretterbuden-Ansiedlungen, über Mülldeponien, Autofriedhöfe, leere Eisenbahngeleise, Fischerhäfen und Baumwollfelder zogen die beiden Jobber Mieth und Hagel durch Kalifornien. Viele dieser Landschaftsfotos mit Tramps haben einen Fluchtpunkt ins Nirgendwo. Oder die Szene definiert sich über ein Erlösung verheißendes Zentrum: die Hände der um Jobs bettelnden Männer greifen dem Arbeitsvermittler entgegen, als sei er Gottvater, der sie vor der Sintflut erretten könne.

Hier werden also soziale Beziehungen durch mythologische Topoi erklärt. Gegenpol zu solchen Bildern sind die streng berichtenden Auftrags-Aufnahmen von der New Yorker Börse oder aus dem „Sandusky Yacht Club“: die Oberschicht als sich selbst inszenierende, sich eine luxurierende Privatheit leistende Kleingruppe. Das kontrastiert schön mit den dunklen Arbeiterwohnungen, wo brave Sozialisten anklopfen, um die von ihren vielen Kindern umringten ängstlichen Proleten gewerkschaftlich zu organisieren. Bisweilen nehmen Mieths und Hagels Reportagen auch Filmgeschichte vorweg: die Abgesandten der Farmer, die, Gewehr in der Hand, beim „Salatstreik“ in Salinas 1936 mit einem unglaublich fetten Sheriff verhandeln, sind westernmäßig zum Showdown gruppiert. Und das in dem fahlen Licht von Autoscheinwerfern stattfindende nächtliche Treffen von Streikenden „At the crossroads“ ist eine Vorwegnahme von Arrangements, in denen ein gewisser James Dean zwanzig Jahre später, dann allerdings in einer Jugendkultur, die Hauptrolle spielen sollte.

Aus der deutschen (Weimarer) Wirtschaftskrise in die amerikanische Rezession und von dort, von der Straße, in die Dienste der besseren Fotoblätter wie 'Time‘, 'Life‘ und 'Fortune‘: Mieth und Hagel haben Glück gehabt, aber auch einen ungemein scharfen Kieker. Noch die banalsten Straßenszenen (1939) einer „Small Town“ aus Ohio zeigen die verbissene Selbstzufriedenheit und Leere einer Welt im geistigen Abseits. Mieths Cowboys sind noch nicht so smart wie in der Marlboro- Provinz, sondern dreckig und arm; die Indianer in den Reservaten stehen teilnahmslos und stumm, und in Montana, in White Sulphur Springs, spielen Herren mit breitkrempigen Hüten am Wochenende Poker.

Die eindrücklichsten Bilder jedoch stammen aus dem Gefangenenlager „Heart Mountain“ im winterkalten Wyoming. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour wurden 1942 etwa 112.000 Amerikaner in sogenannten Internierungslagern eingesperrt — weil sie japanischer Herkunft waren. Verlust allen persönlichen Besitzes, rauf auf die Lastwagen — allein nach „Heart Mountain“ wurden 10.000 Staatsbürger verfrachtet. Der General John De Witt, der Roosevelt die Internierung angeraten hatte und alle „Japanischstämmigen“ für potentielle Saboteure hielt, ist in der Ausstellung als kühler Technokrat in Uniform frontmilitärisch abgelichtet, mit Reitpeitsche und stählernem Blick. Mit lakonischen Scharzweiß- Kompositionen berichtet „Hansel“ Mieth vom tristen Lagergefängnis, an einem nebligen Morgen stehen die Insassen im Schnee und salutieren unter den Klängen einer Pfadfinderkapelle vor den Stars and Stripes — eine erzwungene Geste der Unterwerfung von Leuten, die sich gar nicht aufgelehnt hatten.

Mieth und Hagel sind 1949 noch einmal in ihre Heimatstadt Fellbach zurückgekehrt: Sie fanden Starrsinn und Wehleidigkeit, ein Nicht-wahrhaben-Wollen der nazistischen Verbrechen und eine Flucht in Tradition und pietistische Frömmigkeit. Breite Bauerngesichter im schwäbischen Winkel lesen die Bibel, schlotzen sinnend den Wein, bestellen die Gräber ihrer Gefallenen und lassen sogar spiritistisch das Pendel schlagen, um etwas über das Schicksal ihrer in Rußland vermißten Angehörigen herauszufinden. Berühmt geworden ist Otto Hagels Panorama von den Ruinen Pforzheims, in denen ein kleiner Junge mit seinem Schulranzen eine Treppe hinabsteigt: zumindest im Sinne der Fotografie ein Optimist inmitten der Zerstörung.

Die Ausstellung schließt mit einem Blick auf das soziale Elend der Indianer-Reservate: Eine über hundertjährige Greisin sitzt, umgeben von Lumpen und leeren Konservendosen, auf der Kante eines rostigen Betts, ihre Nichte hält ihr hilflos die Hand. Und Rodny Maruffo, der Häuptlingssohn, wird im Sarg aus Vietnam zurückgebracht.

Das war 1965. Mieth und Hagel bewirtschaften heute eine Farm bei Santa Rosa: ein einfaches Leben, wie sie meinen.

Simple Life. Fotografien aus Amerika 1929 bis 1971. Deutsch-Amerikanisches Institut Tübingen, bis 8.Mai, Katalog 28DM.

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