piwik no script img

Bedürfnis nach Repräsentation

■ Porträtfotografie in Deutschland 1850-1918 in der ifa—Galerie, Friedrichstraße

Schon am Anfang der fotografischen Entwicklung gab es— wer hätte das gewußt — mit der Ferrotypie beinahe so etwas wie eine Sofortbildfotografie. Auf Jahrmärkten wurden die billigen Eisenplättchen vom Fotografen so schnell entwickelt, daß der Kunde darauf warten konnte. Die Qualität der Aufnahmen war entsprechend gering.

Mit der Geburtsstunde der Fotografie im Jahr 1839 wurde dieselbe in Deutschland — wie überall in Europa — an den Königshöfen ebenso schnell beliebt wie bei den kleinen Leuten. Die von der Leiterin der fotografischen Sammlung des hamburgischen »Museums für Kunst und Gewerbe«, Claudia Gabriele Philipp, konzipierte Ausstellung in der ifa-Galerie in der Friedrichstraße beginnt mit Bildern des Übergangs an der Schwelle zur Fotografie. Es sind jene schon halbmechanisch hergestellten Porträts und Silhouettenbilder, die auf das breite Bedürfnis nach dem eigenen repräsentativen Abbild hinweisen. Die Fotografie ist dann die konsequente Lösung des Problems, die massenhafte Nachfrage beim wirtschaftlich wie politisch sich emanzipierenden Bürgertum rationell zu befriedigen.

Die Ausstellung führt noch einmal die Techniken und Stile der Epoche des bürgerlichen Porträts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges vor. Bis in die neunziger Jahre blieb die Fotografie hauptsächlich Sache der professionellen Lichtbildner. Vom Hoffotografen seiner Majestät, über die feinen Ateliers in bester Lage, bis zum heruntergekommenen und durch die Fotografie arbeitslos gewordenen ehemaligen Miniaturmaler reicht die Spanne.

Zu Anfang war es noch eine ziemliche Tortur, wollte man sich das Porträt abnehmen lassen. Die Kinder fürchteten diese Prozedur fast ebenso wie den Zahnarzt. Denn es bedeutete regungsloses, minutenlanges Ausharren im prallen Sonnenlicht unter dem Glasdach des Ateliers, mit weißem Puder im Gesicht, den Kopf hielt eine eiserne Stütze.

Die Technik aber avancierte schnell. In den ersten zwei Jahrzehnten war vor allem die nach ihrem Erfinder benannte Daguerreotypie in Anwendung. Sie erlaubte einen einzigen Originalabzug auf einer versilberten Kupferplatte. Die Konkurrenz der Verfahren setzte sofort ein, der Namen sind viele: Ambrotypie, Pannotypie, Meli(i)notypie; mit der Kalo- oder auch Talbotypie (nach ihrem Erfinder Fox Talbot) gab es schon 1841 den ersten brauchbaren Positiv-/Negativ-Prozeß, der Bilder auf Papier belichtete.

In den sechziger Jahren war es üblich geworden, sich beim Fotografen an eine Säule aus Pappmaché zu lehnen. Obligatorischer Standard war ebenfalls der in einer Bildecke wallende Vorhang. Gemalte Prospekte standen nach Auswahl für den Hintergrund bereit. Die Einrichtung kaufte das Atelier en bloc im Großhandel. Der Geschmack orientierte sich noch immer am Vorbild der Malerei. Auch die traditionelle Ikonographie wurde übernommen. Gelehrte hatten selbstverständlich ein Manuskript oder ein Buch in der Hand, Damen meist die Bibel.

Sehr bald aber wurde die Kamera, dieser immer noch ungetüme, klobige Holzkasten, mobil. Das Offizierskorps im Felde, die Schulklasse nebst Lehrkörper, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, vor ihrem Gymnasium oder die Jagdgruppe mit erlegtem Wild — alle konnten vor Ort auf die Platte gebannt werden. Die Choreographie der Gruppenaufnahmen machte den Fotografen zum Arrangeur der Massen. Auch eine Art Autogrammkarte gab es seit der Jahrhundertmitte schon. Bismarck oder Kaiser Friedrich im sogenannten Visitenkartenformat mit faksimilierter Unterschrift waren im Handel käuflich zu erwerben. Das visitenkartengroße Format war sehr verbreitet, und die Bildchen wurden zum Teil in ledergebundenen und mit aufwendigen Schließen gearbeiteten Alben einsortiert. Dort fanden sich neben der gekauften Prominenz oder der eigenen Familie auch Reproduktionen beispielsweise nach Dürer. Die Fotografie ermöglichte nicht nur jedermann, sein eigenes Abbild in den Händen zu halten, sondern auch den bequemen Zugriff auf Werke der Kunst oder auf Ansichten fremder Länder. Man muß einmal all die verschiedenen Verfahren, Formate und goldgeprägten Passepartouts gesehen haben, um zu verstehen, daß es auch in der Fotografie ein Original gibt, das auch die beste Reproduktion im Buch nicht zu ersetzen vermag. Ronald Berg

Porträtfotografie in Deutschland 1850-1918. ifa- Galerie, Friedrichstraße 103, Mitte. Di.-Fr. 11-13.30/14-18

Uhr, Sa., So. und feiertags 11-13.30/14-17

Uhr. Noch bis zum 3. Mai.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen