Regierungskrise in Bonn
: Chaos im KabinettKohl unter Zugzwang

■ Nach dem mißglückten Wechsel im Außenministeramt stritten sich die Bonner PolitikerInnen gestern weiter um die Personalentscheidungen. Die CSU zweifelte an Kinkels...

Chaos im Kabinett Kohl unter Zugzwang Nach dem mißglückten Wechsel im Außenministeramt stritten sich die Bonner PolitikerInnen gestern weiter um die Personalentscheidungen. Die CSU zweifelte an Kinkels außenpolitischen Kompetenzen und bezeichnete Möllemann als „eklatante Fehlbesetzung“ für den Vizekanzlerposten. Schwaetzer ging mit einer Kritik an ihrem Parteikollegen Kinkel in die Offensive. Die SPD forderte halbherzig Neuwahlen.

Aus dem Coup erwuchs das Chaos: Nicht Schwaetzer, sondern Klaus Kinkel folgt Hans-Dietrich Genscher im Amt. Die FDP versucht mühsam und vergeblich zu verbergen, daß dieser Vorgang die Partei schwer erschüttert hat. Der Bundeskanzler, der sein Kabinett im zweiten Halbjahr publikumswirksam umbilden wollte, findet sich unversehens und ohne eigenes Zutun in einer völlig veränderten Regierungsmannschaft wieder. Kennt er seine neue Justizministerin überhaupt? Die CSU, die dritte Partei im Regierungsbunde, ohnehin beleidigt, weil sie beim Genscher-Rücktritt ausgeschlossen war, kritisiert den untätigen Kanzler nun ganz unverhohlen.

Am Mittwoch waren die Regierungsparteien vollauf damit beschäftigt, das zerschlagene Porzellan der beiden vorangegangenen Tage zusammenzukehren. Ganz früh traf sich die FDP-Fraktion zu einer weiteren Sitzung. Am Abend trafen sich die Partei- und Fraktionschefs der Regierungsparteien zu einer neuen Runde. Das Kabinett tagte Stunden... Dort hatte man sich augenscheinlich vorgenommen, wenigstens so tun, als ob die Regierung fleißig arbeiten würde — as usual. Inzwischen ist es fast normal, daß am Anfang eine scheidende Ministerin verabschiedet — gestern war's Frau Hasselfeldt — und der Vereidiungsgungstermin für den Nachfolger bekanntgegeben wird. Wie zu erwarten war, wurden im Kabinett zwar allgemeine Statements zur Tarifauseinandersetzung ausgetauscht, über neue Angebote jedoch nicht geredet. Was aus der Kanzler-Ankündigung der letzten Woche, die Ministergehälter um fünf Prozent zu senken, im Kabinett wird: ein peinlicher, aber ein vergleichsweise kleiner Schwindel. Minister und Staatssekretäre legen nämlich nur eine Nullrunde ein, sie sollen an den Tariferhöhungen der nächsten beiden Jahre nicht teilnehmen.

Er sei sich sicher, daß Kohls Regierungsumbildung nicht früher als geplant stattfinden würde, so Regierungssprecher Dieter Vogel. Eben die hatte die CSU angemahnt. Tatsächlich wäre eine energische Durchforstung und Neubesetzung des Kabinetts das einzige Mittel, mit dem Kohl nach dem Debakel die Initiative wiedergewinnen könnte. Allein: Es fehlt am geeigneten Personal. Vom Bundeskanzler war also nichts zu hören, statt dessen beharkten sich seine Koalitionspartner.

Die CSU sieht sich darin bestätigt, daß die Genscher-Nachfolge in der gesamten Koalition hätte besprochen und entschieden werden müssen. Den neuen Personalvorschlag der FDP findet die Bayern-Partei keineswegs besser als den alten. Der stellvertretende CSU-Chef Edmund Stoiber: „Wenn er als Außenminister so beckmesserisch ist, wie er als Justizminister war, dann sehe ich eher eine Beamtenmentalität an der Spitze des Auswärtigen Amtes.“ Noch harscher fiel das Urteil über den von seiner Partei als Vizekanzler designierten Jürgen Möllemann aus, denn dessen Nominierung erinnere Stoiber „schon ein bißchen an einen Faschingszug“. Die CSU sähe am liebsten ihren Parteichef, Finanzminister Theo Waigel, auf diesem Posten. Wie gut für Kohl, daß Waigel ein disziplinierter Mann ist. Er beschied, daß der Titel der FDP gehört.

Und die Opposition? Sie fordert Neuwahlen, das aber auch nicht so richtig. Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing wollte das Thema nicht ausschließen, war aber auch dagegen, daß man eine solche Forderung „zu früh verbraucht“. Tissy Bruns, Bonn