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Spielball der Großmächte

■ Für Libyen war und ist das Mittelmeer eine Größe zwische Hoffnung und Bedrohung. Ein Beitrag der libyschen Politologin Safiya Bak' Ariz

Für Libyen war und ist das Mittelmeer eine Größe zwischen Hoffnung und Bedrohung.

Ein Beitrag der libyschen Politologin

SAFIYA BAK' ARIZ

D

ie nördlichen Anrainer des Mittelmeers und die USA haben sich angewöhnt, auf dem von ihnen so getauften „Schwarzen Kontinent“ stets irgendwelche schlimmen Teufel zu orten. Sie haben daher nur einen Wunsch: diese Teufel loszuwerden. Möglichst nichts, was südlich des großen Beckens passiert, soll den dort wohnenden Menschen zur Entscheidung überlassen werden. Das hat Tradition.

Den Römern waren Hasdrubal und Hannibal aus Karthago solche Teufel, und die Geschichtsschreibung des „Westens“ verklittert sie noch immer als reine Invasoren, ohne gleichrangig den Expansionsdrang der Römer danebenzustellen. Den Türken galten rundum alle Mittelmeervölker nicht nur als willkommene Beute, sondern als geradezu nach der „Befreiung“ durch die Osmanen gierende Populationen. Den Italienern, und das schon lange vor dem Faschismus, schienen die Libyer nichts so sehr zu ersehnen wie die Unterwerfung unter einen neuen Herrscher, den von Rom gesandten Statthalter. Blutbäder von ungeahnter Größe waren die Folge, viele zehntausend Menschen, davon ein gutes Drittel Frauen und Kinder, wurden geschlachtet oder auf kleine Inseln vor der Küste Italiens deportiert und dort dem Hungertod ausgeliefert. Und das bei einem Volk, das nicht einmal vier Millionen Einwohner zählte. Mein Großvater gehörte zu den Füsilierten, meine Großmutter und wir selbst zu den Deportierten.

Seit dem Übergang von der phönizischen Vorherrschaft — die in Karthago im heutigen Tunesien einen ihrer westlichen Hauptstützpunkte hatte — zur griechischen Kultur richteten die Großmächte ihr Augenmerk stets auf diese Gegend. Die Wege übers Meer waren für uns stets ambivalent: sie machten uns Hoffnung, aber auch Angst.

Immer wieder zogen Weltreiche ihre Trennungsstriche durch unser Land: die Numidier teilten es sich zuerst mit den Ägyptern, dann mit den Römern, bis die es dann ganz kassierten. Als das Römische Reich selbst geteilt wurde, ging die Linie wieder mitten durch unser Gebiet: Tripolis kam zum Weströmischen, die Cyrenaika zum Oströmischen Reich. Man könnte diese Aufzählung beliebig fortsetzten bis zur Einverleibung ins Osmanische Reich.

Nur einmal gelang für einige Zeit eine Art Autonomie: die Herrschaft der Sanussi-Bruderschaft. Das war eine rigorose islamische Gemeinschaft, die ihren Einfluß bis nach Marokko und Indien ausdehnte und deren Oberhaupt nominell der regierende König war. Die Bruderschaft, lange Zeit faktisch die einzige politische, wirtschaftliche und kulturelle Ordnungsmacht im Lande, zeigte allerdings nach und nach eine hermetische Abgeschlossenheit gegen alle anderen Einflüsse. Das machte sie einerseits verwundbar, weil sie modernen Gegnern nicht mehr gewachsen war, und führte andererseits intern zu einer Erstarrung.

Erst die Revolution von 1969 brachte eine Veränderung. In nur wenigen Jahren verschwanden viele Fessel, die man in Europa längst nicht mehr kannte. Frauen durften Berufe ergreifen, Regierungsfunktionen ausüben, die Polygamie wurde abhängig gemacht von der Zustimmung der ersten Frau, Scheidung wurde auf Betreiben der Frau möglich. Dinge, die mitunter auch nicht so leicht verwirklicht wurden, wie sie auf dem Papier standen, doch in anderen Ländern unseres Kontinents stehen sie bis heute nicht einmal auf dem Papier. Wenn der Westen, weil er heute wieder einmal ein kleines Land als großen Gegner aufplustert, unsere Errungenschaften herunterspielt und sie gegen sicher auch vorhandene Mängel setzt, sollte er sich nur im ehemaligen Ostblock umsehen. Dort zeigt sich die Schwierigkeit des Übergangs von einer politischen Kultur zur einer Neuen.

Nach einer kurzen internationalen Verschnaufspause wurde unser Land wieder zum Prügelknaben. Die während unserer Revolution noch fast unumschränkt herrschenden westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, die Amerikaner, Engländer und Franzosen, fragten nur, wie antikommunistisch wir seien und wieviel Öl sie zu welch niedrigem Preis bekommen könnten. Die Italiener waren noch schlauer, sie waren nicht nur hinter dem Erdöl her und boten dafür tausenderlei illegale Aktionen an, sondern machten auch unzählige Offerten, mit unserem Geld zu arbeiten. Der Einstieg unserer Außenhandelsbank bei Fiat war die Folge. Daß uns faktisch alle Länder des Westens anderthalb Jahrzehnte so ziemlich alles verkauften, was wir wollten, wird heute gerne verdrängt: die Amerikaner etwa Lockheed-C130-Transporter, die Italiener Chinoc-Hubschrauber und Kanonen, die Franzosen Mirage- Jagdbomber und spaltbares Uran. Hätten wir eine Atombombe gebaut mit dem erklärten Ziel, sie gegen sowjetische Kriegsschiffe oder linke Regierungen in Zentralafrika einzusetzen, niemand hätte es uns verwehrt.

Doch kaum begann sich unser Land aus dem Mittelalter wirklich zu lösen und verlangte angemessene Preise und Leistungen, kamen wieder die altbekannten Verhaltensweisen ans Licht. Man hatte uns Autonomie nur gewährt, solange wir nach der Pfeife der Großmächte tanzten.

So wurde das Mittelmeer nach dem kurzen Frühling, der uns freie Entfaltung in der Welt zu bieten schien, für uns wieder zum Alptraum. Jede Flottenbewegung vor der großen Syrte macht uns Angst. Provokant fliegen immer wieder fremde Flugzeuge über unser Territorium. Auch wenn wir uns von den Sowjetmächten ebenso fernzuhalten versuchten wie von den amerikanischen, so hat die Angst doch erheblich zugenommen, seit es keine Flotte der UdSSR mehr im Mittelmeer gibt.

Wir sind der Spielball der Großen, ein Manövrierfeld auch ihrer Innenpolitik, die sie mit außenpolitischen Mini-Abenteuern wie den Überfällen auf kleine Länder konsolidieren. So bleibt jeder, dessen Schiff wir ankommen sehen, für uns zugleich ein Freund und ein Feind: jemand, den wir wie einst Odysseus als Seefahrer willkommen heißen, der sich aber, wie er, zum ausraubenden, sengenden Mörder entwickeln kann.

Die Autorin wurde als Tochter verschleppter Libyer auf den Tremitischen Inseln geboren, siedelte 1970 nach Tripolis um, studierte in den USA und Italien Politologie und lebt heute in Bu Nujem südöstlich von Tripolis.

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