: Fahrplanmäßiges Aus für den ICE
■ Nach einer Streikwoche waren ganze 7 von 57 der wartungsintensiven Züge einsatzfähig
Der Streik der Eisenbahner zwingt die Deutsche Bundesbahn heute wohl zu ihrem ersten Offenbarungseid: Der Betrieb des Prunkstücks ICE muß nach einwöchigem Arbeitskampf im ICE-Betriebswerk Hamburg für die restliche Dauer des Streiks eingestellt werden. Darüber verhandelten gestern der Bundesbahn-Vorstand und die Zentrale Streikleitung der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED). Im Gegenzug wird dann die GdED ihren Streik im Hamburger Wartungswerk aussetzen, damit die ramponierten Züge für den Tag X nach dem Streik und den Juni-Fahrplan wieder fahrtüchtig gemacht werden können.
Genau vor einer Woche hatten 750 Beschäftigte des Hamburger High-Tech-Werkes als eine der ersten Bahn-Belegschaften die Arbeit niedergelegt. Anfang der Woche frohlockte die Bundesbahn noch, daß dadurch die Betriebssicherheit und der planmäßige Verkehr des acht Milliarden Mark teuren Prestigeobjekts nicht gefährdet seien.
Doch schnell mußten die Bahnchefs ihre Meinung revidieren. Aufgrund des Wartungsausfalls fielen immer mehr Züge aus. Dabei spielte nicht nur eine Rolle, daß die sanitären oder Versorgungseinrichtungen nicht gewartet werden konnten, sondern vielmehr, daß die hochsensiblen, unausgereiften und überzüchteten 47-Millionen-Mark-Züge technisch sehr anfällig sind— besonders auch die Elektronik. Gestern waren noch ganze sieben Züge der insgesamt 57 ICEs einsatzfähig, der Rest stand auf die ganze Republik verteilt fahruntüchtig auf Abstellgleisen. Und auch diese Gefährte durften zuletzt nur noch 140 Stundenkilometer fahren, weil der Sicherheitsstandard nicht mehr gewährleistet werden konnte.
Schon frühzeitig war aus Kreisen der Bundesbahn vor den Folgen des Streiks und des weiteren Betriebs der ICEs gewarnt worden. Ende letzter Woche war nach Auskunft von Hamburger Bahntechnikern bei den ICE- Zügen — die gern „Lufthansa auf Schienen“ genannt werden — ein Schaden entstanden, der bei weitem über den Kosten liegt, die die Annahme des Schlichtungsspruchs von 5,4 Prozent mehr Gehalt verursacht hätte. Außerdem befürchtet die Bahn — wenn die Züge ungewartet weiter fahren — nach Ende des Streiks den großen Zusammenbruch. Denn die High-Tech-Gefährte müssen alle 70.000 Kilometer durch die Sicherheitsüberprüfung und dabei gänzlich überholt werden. Selbst bei einem frühen Streikende könnte dies zur Konsequenz haben, daß die Bahn den angekündigten planmäßigen ICE-Linenverkehr nach München ab 1. Juni nicht aufnehmen kann.
Bis gestern wurde dem Frankfurter Bundesbahn- Vorstand ein derartiger Schritt vom Bonner Verkehrsministerium untersagt. Es käme einem „Offenbarungseid“ vor der GdED gleich, wenn die Prunkstücke aufgrund des Streiks von den Gleisen verbannt würden. Doch nun drohen auch die letzten zehn ICE-Exemplare zum Reparaturfall zu werden. Hamburgs GdED-Bezirksleiter Norbert Hansen rechnet heute mit einer Übereinkunft: „Wir warten auf eine intelligente Entscheidung des DB-Vorstands.“ Kai von Appen
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