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Korruptionsverfahren in Algier

Der erste Nomenklaturist, ein ehemaliger Chadli-Mitarbeiter, wird der Bereicherung angeklagt  ■ Von Oliver Fahrni

Hundert Tage im Amt und kein bißchen schlauer: Mohamed Boudiaf, das Aushängeschild der algerischen Militärjunta, fahndet noch immer nach einem Gesellschaftsentwurf. „Unser Projekt hat noch keine klaren Konturen“, gestand er Ende April in einer Hofplauderei mit Journalisten der Wochenzeitung 'Algérie-Actualité‘. Dann die Einsicht: „Unsere Glaubwürdigkeit hängt von unserem Kampf gegen die Korruption ab.“

In der Tat: Konsterniert sahen in den letzten Jahren die AlgerierInnen, wie die Kapitalisten-Generäle Milliardenvermögen anhäuften, während gleichzeitig der Überlebenskampf immer härter wurde. Bereits vor zwei Jahren hatte der frühere Premier Abdelhamid Brahimi offenbart, daß die Nomenklatura in einem Jahrzehnt 26 Milliarden Dollar beiseite geschafft hatte — gleich viel wie die drückende Außenschuld. Nach dem Putsch vom Januar beschuldigte der 1965 abgesetzte Ex-Präsident Ahmed Ben Bella die Familie des weggeputschten Präsidenten Chadli Bendjedid, zehn bis 15 Milliarden illegal zusammengerafft zu haben.

Dieser Tage führte nun Boudiaf per gezielter Indiskretion den ersten Nomenklaturisten zur Schlachtbank: Generalmajor Mostefa Bolloucif wurde angeklagt, sich mit 13 Millionen Mark in Devisen und zehn Millionen in Dinar bereichert zu haben. Belloucif hat das richtige Korruptionsprofil: In schamloser Offenheit gab er Order, Geldkoffer in die Schweiz zu schaffen, in seiner Heimatstadt Annaba ein Dutzend Villen zu kaufen oder zu bauen, in Paris eine repräsentative Bleibe zu erstehen. Der General war lange die rechte Hand von Chadli Bendjedid und sein designierter Nachfolger. Zudem trifft die Anklage einen bereits Entmachteten: 1987 hatte ihn Chadli aller Funktionen enthoben, weil er, wie das Gerücht in Algier sagte, Frau Chadli, die eigentliche Herrscherin des Clans, nach einem geheimen Waffendeal um deren Anteil geprellt haben soll. Boudiafs Attacke stützt sich denn auch auf einen Armeebericht von 1989, als dessen Co-Autor ein gewisser Khaled Nezzar zeichnet, heute der starke Mann der Militärjunta. Der aufgedeckte Korruptionsfall soll der Militärjunta ein Stück Legitimität verschaffen, nachdem sie sich durch ihre Repression der Islamisten und ihr Wirtschaftsprogramm von wichtigen Kräften der Gesellschaft isoliert hat. Doch Belloucif drohte, im Gegenzug Informationen über Geschäfte preiszugeben, „in die ich nicht verwickelt war, aber die Leute, die mich heute verfolgen“— eine Anspielung auf Nezzar. Der oberste Putschist wird nun zumindest erklären müssen, wieso er die offenen Betrügereien seines Generalskollegen über Jahre gedeckt hat. Macht Boudiaf ernst mit seiner Antikorruptionskampagne, wird er sich sehr schnell an den vitalen Interessen des militärisch-industriellen Komplexes stoßen, der im Januar gegen den Wahlsieg der Islamischen Heilsfront (FIS) geputscht hatte.

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