: DT 64: Die Radio-Power von der Eastside
■ Dokumentarfilm über die angekündigte Abwicklung des Jugendradios DT 64 im Filmkunst Babylon
Totgesagte leben länger: eigentlich sollte DT 64, der ehemalige Jugendfunk der DDR, wie manches andere, was ostdeutschen Stallgeruch hat, längst abgeschaltet sein. Mit der Gründung von Landesrundfunkanstalten in den fünf neuen Ländern sollte jede sichtbare Erinnerung an Organisationsstrukturen aus realsozialistischer Zeit getilgt werden. Ein zentral in Berlin produziertes Jugendhörfunkprogramm für alle ostdeutschen Bundesländer paßte nicht recht ins Bild. Kulturhoheit haben schließlich die Länder.
Doch bei der angekündigten Abwicklung war nicht mit dem Unmut der Hörer des 1964 (anläßlich eines FDJ-Treffens) gegründeten Senders gerechnet worden. Eine Welle der Solidarisierung schwappte im vergangenen Herbst quer durch den Osten. Schließlich hatte DT 64 seit dem Zusammenbruch der DDR in dem Maß ein eigenes Profil entwickelt, wie es den Menschen aus dem »Beitrittsgebiet« abhanden gekommen war. Offene Worte, wie sie sich Westsender seit je verbieten, gibt es im inzwischen beim MDR angesiedelten Jugendradio bis heute.
Ulrike Hemberger und Rainer Hällfritzsch haben den Schlingerkurs des Jugendradios in den vergangenen zwölf Monaten filmisch begleitet. Sie waren bei der Arbeit der Redaktion und bei zahlreichen der von inzwischen 80 Fanclubs organisierten Aktionen dabei. Mit wochenlangen Mahnwachen und Go-ins, Telefonaktionen bei politischen Entscheidungsträgern und Konzerten wurde aufdringlich freundlich für den Erhalt von DT 64 als zentralem Jugendfunk für die neuen Länder geworben. Knapp eine halbe Million Unterschriften wurden gesammelt — allein, der politische Wille bei den Adressaten fehlte.
In dem 50-Minuten-Streifen, der als Videogroßprojektion zu sehen ist, wird deutlich, daß es beim Jugendradio um ostdeutsches Herzblut geht. Eine Lektion, daß »man in der neuen Gesellschaft doch etwas von der Straße durchsetzen kann« (Film- Zitat), war der Zwischenerfolg der Freunde von DT 64: die Durch- und Fortsetzung des Sendebetriebs über die Deadline vom Silvester 1991 hinaus. Inzwischen ist die »Power von der Eastside« beim Mitteldeutschen Rundfunk angesiedelt, denen eine arbeitsfähige Jugendfunkredaktion gerade zupaß kam.
Dennoch wird die Luft wieder dünn für das Jugendradio aus der Nalepastraße. Am 1. Juli werden die Frequenzen des Jugendradios in den vom MDR beschickten südlichen Landesteilen abgeschaltet, da das Mediengesetz Platz im Äther für privatrechtlich organisierten Hörfunk verlangt. In Berlin und Brandenburg muß sich DT 64 seit Jahresbeginn die Frequenz mit dem Ostdeutschen Rundfunk teilen. »Rockradio B«, die von abgeworbenen DT-64-Mitarbeitern produzierte junge Welle des brandenburgischen Rundfunks, will ab Oktober auf 102,6 MHz eine gemeinsame Jugendwelle mit Radio 4U vom Sender Freies Berlin veranstalten — vorausgesetzt, der hörerschwache SFB wird nicht ebenfalls abgewickelt. Allein in Mecklenburg-Vorpommern bleibt alles beim alten: hier ist von DT 64 seit dem Scheitern der Gründung von NORA, des Nordostdeutschen Rundfunks, gar nichts mehr zu hören.
Das enorme Echo, das DT 64 in den fünf neuen Ländern und Berlin erfährt, macht den Hörfunk zunehmend zum Mythos. Doch auch in dieser Rolle ist das Programm noch immer so unterhaltsam, daß DT 64 neben SFB 3 der beste Sender zum Hinhören ist. Das Pathos beschränkt sich auf die nachmittags ausgestrahlte Indie-Musik, und fürs konzentrierte Weghören bietet DT 64 samstags Marushas Techno-Stunde, die ich nicht missen möchte. Stefan Gerhard
Jugendradio DT 64 — Chronik einer angekündigten Abwicklung läuft heute und morgen um 22 Uhr im Filmkunsthaus Babylon
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