: Osteuropas rosarote Revolution
Lesben und Schwule versammelten sich in Bratislava zur 6. Osteuropa-Konferenz/ Wachsendes Selbstbewußtsein und Pläne für den Aufbau von Treffpunkten für Lesben und Schwule/ Gewalt gegen Schwule in Belgrad nimmt zu/ Rosa Listen in Rumänien ■ Aus Bratislava D.Winden
„Homosexuelle sind überall“. „Wir sind unter euch — lesbische Frauen“ und „Wir sind stolz, homosexuell zu sein“, hieß es in slowakisch und englisch auf den Transparenten. Zum ersten Mal demonstrierten Schwule und Lesben am vergangenen Samstag in der slowakischen Hauptstadt, mit Transparenten aus Papierbahnen und noch zaghaften Sprechchören. Doch was für die westlichen TeilnehmerInnen der rund 100 DemonstrantInnen Routinesache war, hatte für viele Lesben und Schwule aus den osteuropäischen Staaten eine ganz andere Bedeutung. „Ich hatte Angst. Bis gestern habe ich noch gesagt, daß ich nicht zur Demo mitgehe, aber dann hat mich die Stimmung auf der Konferenz mitgerissen. Das war meine ganz private ,samtene Revolution‘“, sagt Miro Koller von der örtlichen Lesben- und Schwulengruppe Ganymedes.
Zu ihrer 6. Osteuropa-Konferenz hatte der Internationale Lesben- und Schwulenverband (ILGA) vom 1.bis 3.Mai in Bratislava eingeladen. Mit 110 TeilnehmerInnen aus Rußland, Litauen, Lettland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Serbien und Polen war es zugleich die bisher größte Osteuropa-Konferenz des Verbandes. Aus Westeuropa waren Lesben und Schwule aus Österreich, Deutschland, Kanada und den USA vertreten. Ist doch ein Ziel der Konferenzen, die Zusammenarbeit zwischen Gruppen in Ost- und Westeuropa zu fördern und konkrete Projekte auf den Weg zu bringen.
Erste eigene Publikationen
Mit Ausnahme von Litauen und Rumänien gibt es mittlerweile in allen osteuropäischen Staaten Lesben- und Schwulenorganisationen. Nach 40 Jahren des Totschweigens und der Tabuisierung ist es nun leichter geworden, Homosexualität zum Thema zu machen. Die Gruppen haben überall großen Zulauf, auch das Selbstbewußtsein der Lesben und Schwulen ist gewachsen. Dennoch betrachten weite Teile der Bevölkerung Homosexualität nach wie vor als Krankheit. Entsprechend schwierig ist es für Lesben und Schwule, ein positives Selbstbild zu entwickeln.
Eine wichtige Rolle spielen die Schwulen- und Lesbenzeitschriften, die inzwischen in fast jedem Land erscheinen. Sie sind jedoch meist sehr stark auf Schwule zugeschnitten: nackte Männerkörper und erigierte Schwänze auf Hochglanzpapier. Über die Situation von Lesben wird dagegen nur sehr wenig berichtet.
Zwei polnische Frauen, die eine eigene Lesbenzeitschrift herausgeben, stießen auf bürokratische Hindernisse. Im März erschien die erste Ausgabe von 'Sigma‘ in einer Auflage von 2.000 Exemplaren. Wie Romana Ciesla von der Gruppe Lamda in Krakau berichtete, verweigerten die Behörden die Erlaubnis, die Zeitung am Kiosk zu vertreiben. Die Begründung: die Zeitung sei „pornographisch“. „Das ist völlig absurd, die Zeitung ist überhaupt nicht pornographisch. Aber die schwulen Magazine, die voll von nackten Männern sind, kann man sehr wohl am Kiosk kaufen, sagt Romana Ciesla. „Wir haben versucht die Zeitung über Mundpropaganda zu vertreiben, aber bisher haben wir auf diese Weise nur 300 Exemplare verkaufen können.“
Auch der Herausgeber der ersten bulgarischen Schwulen- und Lesbenzeitung, Angel Bliznatchky, berichtet von Unannehmlichkeiten. Nachdem im Februar die erste Ausgabe von 'Flamingo‘ mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren erschien, leitete die Polizei eine Untersuchung gegen ihn ein. „Sie haben meine Nachbarn ausgefragt, wer mich besucht. Briefe treffen jetzt mit Verzögerung ein, ich glaube, daß sie zum Teil geöffnet werden. Manches Material aus dem Ausland, das mir in anderen Briefen angekündigt worden ist, kommt gar nicht an“, so Bliznatchky. Die Polizei hat zwar bisher nichts gegen ihn unternommen, aber er hat den Eindruck, daß man seine Aktivitäten im Auge behält. „Unser Ziel ist, daß die Leute gegenüber Lesben und Schwulen toleranter werden“, beschreibt Bliznatchky sein Projekt. Doch ist Bliznatchky weniger ein idealistischer Aktivist als ein gewiefter schwuler Unternehmer. Er arbeitete als Chemie-Ingenieur in einem Forschungsinstitut, wurde aufgrund der wirtschaftlichen Krise jedoch arbeitslos. Er stieg ins Import-Export-Geschäft ein und handelte mit thailändischen und chinesischen Textilien.
Treffpunkte schaffen
Im vergangenen Jahr rief er die schwule Kontaktvermittlung „Kiss Contact“ ins Leben, 'Flamingo‘ ist nun sein drittes Unternehmen. Und schon plant er das nächste Projekt, einen Klub für Lesben und Schwule — mit Räumen für ein Café, eine Bar und eine Bibliothek. Da Lesben und Schwule in osteuropäischen Ländern schon wegen der ökonomischen Krise kaum mit staatlicher Förderung rechnen können, haben Treffpunkte für Lesben- und Schwule nur eine Chance, wenn sie kommerziell ausgerichtet sind.
Von einem Klub träumt auch der Rumäne Jean Gutunoi. Auch er ist ein arbeitsloser Ingenieur und arbeitet seit zwei Jahren als Taxifahrer. Mit seinem Freund, einem Rechtsanwalt, will er in Bukarest einen privaten Club für Lesben und Schwule aufmachen. „Total relations“ soll das Restaurant heißen, eingelassen wird nur, wer eine Einladung hat. Und das aus gutem Grund, denn Rumänien ist das einzige Land in Osteuropa, das Homosexualtität sowohl für Frauen als auch für Männer generell unter Strafe stellt. Artikel 200 des rumänische Strafgesetzbuches sieht für gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen eine Haftstrafe von einem bis zu fünf Jahren vor, nach Artikel 204 ist bereits der „Versuch“ strafbar.
„Das Gesetz wird seit der Revolution nicht mehr angewendet, es gibt zwar noch Verhaftungen, aber sie lassen die Leute wieder frei“, sagt Camelia Doru, 38jährige Anästhesistin aus Bukarest, „trotzdem, das Gesetz besteht noch, und das ist gefährlich. Die Geheimpolizei legt nach wie vor Akten über schwule Männer an, und die können sie im passenden Moment gegen jemanden benutzen.“ Gegen Lesben, hat ihr der Polizeidirektor von Bukarest, Ion Catalineanu, erklärt, sei der Artikel 200 in den 18 Jahren seiner Amtszeit nie angewendet worden.
Sie selbst hat 1985 erlebt, daß ein schwuler Kollege nach einer anonymen Anzeige auf der Straße verhaftet wurde. Obwohl sie sich für ihn einsetzte, kam er ohne Gerichtsverhandlung für ein Jahr in Haft. „Sie haben behauptet, sie hätten ihn mit einem anderen Mann in einer Wohnung gefunden. Sie hatten keinerlei Beweise, die Anzeige genügte.“ Camelia Doru, die von sich selbst sagt, sie sei nicht lesbisch, sondern sei stellvertretend für FreundInnen zu dieser Konferenz gekommen, setzt sich für die Abschaffung der Strafrechtsbestimmungen ein. Und sie will das Schweigen um das Tabuthema Homosexualität brechen. Unter Medizinern gilt Homosexualität immer noch als Krankheit. Als sie in der medizinischen Fachzeitschrift 'Opinia medicala‘ Artikel über Lesben und Schwule veröffentlichte, handelte sie sich heftige Kritik ihrer Kollegen ein: „Sie haben gefragt, warum schreibst du so etwas, was hast du damit zu tun?“
In Rumänien haben sich Lesben und Schwule noch nicht organisiert. „Sie haben unter diesen Umständen nicht den Mut dazu“, so Camilia Doru. „Sie haben Angst, daß sie ihre Arbeit verlieren, und das ist gerade jetzt bei der ökonomischen Krise ein großes Problem.“ Sie kennt nur sechs andere Lesben. „Es gibt kaum eine Möglichkeit, andere Lesben kennenzulernen, nur über private Bekanntschaften und durch Zufall.“ Viele Lesben und Schwule gehen Scheinehen ein, um ihre Homosexualität zu verbergen. „Ich kenne drei Schwule die verheiratet sind und Kinder haben, und alle Lesben, die ich kenne, sind ebenfalls verheiratet“, sagt Camelia Doru. „Aber nur eine der Ehefrauen und einer der Ehemänner weiß davon.“ Auch Jean Gutunoi ist verheiratet, schon zum zweiten Mal. Seine erste Ehe scheiterte, als seine Frau erfuhr, daß er homosexuell ist. Seiner zweiten Frau sagt er deshalb lieber nichts.
Während die Lesben vor allem unter der Isolation leiden, werden schwule Männer zunehmend Opfer von Gewalt. „Ein Freund von mir ist letzte Woche in einem Park in Belgrad zusammengeschlagen worden und liegt mit einem Schädelbruch im Krankenhaus“, berichtet Zeljko Radovanac von der Lesben- und Schwulengruppe Arcadia in Belgrad. „Seit der Krieg angefangen hat, hat die Gewalt gegen Schwule stark zugenommen. Früher, vor zwölf Jahren, ist das einmal in drei Monaten passiert, jetzt kommt es dreimal die Woche vor, daß Schwule zusammengeschlagen werden.“ Gruppen von dreißig bis fünfzig Jugendlichen lauern ihren Opfern mit Baseballschlägern in öffentlichen Parks auf, die als Schwulentreffpunkte bekannt sind.
Auch in Sofia werden Schwule von Jugendlichen in Parks und Klappen zusammengeschlagen, bestätigt Krassi Spassov. „Letztes Jahr sind drei Schwule auf öffentlichen Toiletten umgebracht worden. Spassov ist Präsident der bulgarischen Lesben- und Schwulenorganisation „Bulga“. „Wir sind als Kulturorganisation registriert. Wir können offiziell nicht als Lesben- und Schwulengruppe in Erscheinung treten, dafür ist es noch zu früh“, sagt der 34jährige Popsänger. Ein großer Erfolg ist für ihn, daß Präsident Schelju Schelew am 17. Mai an einem von „Bulga“ initiierten Aids-candlelight-memorial teilnehmen wird. „Nachdem es in Bulgarien immer mehr Aids-Fälle gibt — die Regierung spricht von über 100 HIV- Infizierten und 15 an Aids erkrankten —, werden die HIV-Infizierten sehr viele soziale Probleme haben. Mit der Veranstaltung möchten wir die Leute zu Solidarität aufrufen.“
Spassov ist enttäuscht von den praktischen Ergebnissen der Konferenz. „Ich gehe mit leeren Händen nach Bulgarien zurück, es ist nur geredet worden.“ Was nicht ganz stimmt, denn neben einigen kleineren Projekten wurde beispielsweise vereinbart, eine Safer-Sex- Broschüre für Schwule zu entwerfen, die in sämtliche osteuropäischen Sprachen übersetzt werden soll. Gelder für den Druck sollen in westlichen Ländern aufgetrieben werden. Aber in einem hat Spassov recht: das ist noch viel zuwenig.
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