: „Verabredeter Beischlaf für 30 Mark“
■ Ein Geschäft unter den Rathausarkaden und der hilflose Versuch seiner Aufarbeitung vor dem Amtsgericht
Ein Mann steht gestikulierend vor dem Richtertisch. Nein, seine Lebensgefährtin könne nicht kommen. Es ginge ihr nicht gut und da sei ja auch noch der Kleine, man müsse entschuldigen. Der Richter entschuldigt nicht. Schon einmal sei ein Termin in der Sache geplatzt, weil die Hauptzeugin nicht erschienen war. Der Mann möge mit seiner Freundin telefonieren, notfalls könne sie von der Polizei zum Amtsgericht gefahren werden.
Eine versuchte Vergewaltigung war vor dem Bremer Amtsgericht zu verhandeln. Gerhard C. (46) habe am 7.4.90 mit der 26jährigen Ilona D. unter den Rathausarkaden die Durchführung eines Geschlechtsverkehrs für 30 Mark verabredet. In der Wohnung des Mannes sei es zum Streit gekommen, weil er sich geweigert habe, ein Kondom zu benutzen, hieß es in der Anklage. Gerhard C. habe sich auf Ilona D. gelegt, sie gewürgt und versucht, gewaltsam in sie einzudringen. Die Frau habe sich befreien können und dabei den Mann erheblich am Geschlechtsteil verletzt. Dann habe sie fliehen können. So hatte es Ilona D. bei der Kripo geschildert.
Gerhard C. sitzt auf dem Stuhl des Angeklagten und ist zerknirscht. Irgendwie war da was, am besten er redet nicht mehr so viel darüber. Ja, damals sei er arbeitslos gewesen und mit dem Alkohol, das sei ja auch immer schwierig. „Da hab ich auch Bier im größeren Umfang getrunken“, sagt er. Wieviel, möchte Richter Kornblum wissen. „So 15 bis 20 Halbe.“ Auch an dem Tag, als er Ilona D. kennenlernte. „Wir sind dann zu meiner Wohnung. Die ist gleich mitgekommen. Ich hab nicht gesagt wir wollen ins Bett gehen.“ Irgendwas habe die von ihm gewollt, sagt C., „die wäre ja sonst nicht freiwillig mitgekommen.“ C. sitzt da mit hochgezogenen Schultern.
„Sie haben doch über den Preis gesprochen“, unterbricht Rechtsanwalt Koch seinen Mandanten. Gerhard C. zögert. Ja, um Geld sei es auf jeden Fall gegangen und dann seien sie in der Wohnung gewesen, „und dann sind wir in die Gänge gekommen“, berichtet er. „Als wir untenrum frei waren, haben wir uns aufs Bett gelegt. Dann ist sie auf mir rumgeschaukelt. Dann wollte ich aufhören.“ Sie habe sich angezogen und plötzlich 100 Mark von ihm verlangt, doch er habe das Geld verweigert. Darauf habe sie geschimpft und sei in den Hausflur gelaufen.
„So wie ich war, bin ich hinterher, nur im Unterhemd. Da hat sie an der Treppe gestanden und Hilfe geschrien.“ Er habe versucht, sie zur Ruhe zu bringen. „Ich wollte sie nicht würgen. Ich wollte nur, daß die aus dem Haus geht. Die wollte sich rächen.“ Wo denn das Blut hergekommen sei, will der Richter wissen. Das wisse er auch nicht so richtig, sagt C. Erinnerungslücken. Die Frau sei auf ihm rumgehüpft. Vielleicht habe sie ihn dabei verletzt. Anschließend sei er wieder in die Stadt gegangen und habe acht Halbe getrunken. „Ach, hätt ich die 100 Mark bezahlt, dann säß ich heut nicht hier.“
Es klopft und Ilona D. schlurft in den Gerichssaal, einen Säugling unter der weiten Jacke verborgen. Sie versucht gar nicht erst, das Gericht für sich einzunehmen. Es ginge ihr nicht gut, ob man sie nicht hätte anrufen können, wozu gebe es denn Telefone, und alles sei ja schon so lange her. Immer wieder kratzt sie an dickem rotem Schorf, der Teile ihren Gesichtes bedeckt. Fettige Strähnen verbergen die Augen, sie ist umgeben von einer alkoholischen Dunstwolke. Hinter dem Panzer harter Worte und abstoßender Gesten läßt sich die geschundene Seele nur erahnen.
Die Geschichte die sie dann erzählt ist ganz anders als alle bekannten Versionen — einschließlich ihrer eigenen, die sie nach der Tat zu Protokoll gegeben hat. Sie sei mit C. nach Hause gegangen, weil das Bier alle gewesen sei, berichtet sie. In der Wohnung habe er sie aufs Bett geworfen, sich selbst und ihr die Hose heruntergerissen und versucht, sie zu vergewaltigen. Sie habe sich gewehrt und um Hilfe gerufen. Er habe von ihr abgelassen und sie habe sich im Hausflur wieder angezogen.
„Was Sie jetzt erzählen, ist schlicht gelogen“, sagt der Richter und verliest das Vernehmungsprotokoll von Ilona D., das sie zwei Wochen nach dem Vorfall bei der Polizei unterschrieben hatte. Richter Kornblum gibt auf und entläßt die Zeugin.
Gerhard C. ist freigesprochen. Die Staatsanwältin, der Richter und die Schöffinnen waren sich einig: nach dem Auftritt der Hauptzeugin war nicht mehr zu klären, was sich in der Wohnung des Angeklagten abgespielt hat. Alle weiteren Zeugen werden entlassen. Nur Gerhard C. muß noch bleiben. Wenn er schon mal da sei, könne man gleich eine Anklage wegen Diebstahl verhandeln, meint der Richter. C. hatte im Vollrausch einen Schinken für 7,99 Mark gestohlen. Jochen Grabler
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