: Grobschlächtigkeiten, schick ausstaffiert
■ Die Rost Bühne Berlin veruraufführt »Lenas Schwester« von Gundi Ellert
Am Anfang tanzen sie mit verbundenen Augen durch den schmalen Raum: Zwei Frauen und ein Mann, die durch die Enge der Verhältnisse aneinandergeraten sind und nun, für die absehbare Zeit einer schlecht dramatisierten Doppelstunde, nicht voneinander loskommen sollen. Ein bemühtes Blindekuh-Spiel wechselnder Partnerschaft. Die Gefühlsverwirrungen, das Hilflose, auch das sexuelle Bedürfnis deuten sich schon in diesem kleinen pantomimischen Eingangsreigen hinreichend an. Leider bleibt es dabei nicht.
Am Ende angekommen, sind die Augen dann sehend geworden: Die Binde vor den Augen ist gefallen, und der Mann hat sich als böses, ekles Element hinreichend erwiesen und muß sich mit gebrochenem Rückgrat auf dem Boden krümmen und wohl verrecken. Die beiden Frauen aber dürfen zur seligen Verbundenheit finden: zwei Racheengel, zwei leibliche Schwestern gar, die im Kampf gegen die Unterdrückungen, die die Welt des Kleinmiefs so bereithält, sich erst um den Mann, den einen, streiten, um ihn dann definitiv aus ihrem Leben zu verbannen. Triumphierend flüchten sie über den Todesacker, wo die gemeinsamen Eltern begraben liegen und freuen sich diebisch.
Lenas Schwester heißt nicht von ungefähr Maria, denn der Glaube an das Gute im Menschen und an höhere Instanzen wird ihr schon arg erschüttert und doch — wir wissen's — ist sie jenseits böser Meinung, in ihrer Profanität heilig. Sie spuckt in der Kirche auf den Boden und verlangt vom Gott, an dem sie zweifelt, Rache. Der höchste Herr soll ihren Mann bestrafen. Dem wünscht nun wirklich jeder wenig Gutes: ein Scheusal, den das faustdicke Klischee nach allen Seiten speckig glänzen läßt und dem der dumpfe Trieb aus der braunen Hose lugt, während sein Kleingeist hinterm übergroßen Kragen kramt. Ein schlimmer Stiefel, den nur der gröbste Sinn als Theaterfigur gebären konnte.
Gottes Erdenverwalter haben bekanntlich in ihrer Unbedarftheit arge Schwierigkeiten mit der Abtreibung. Maria aber hat ihre Schwierigkeiten mit dem Glauben, und insofern spricht nichts gegen die Abtreibung des ungewollten Lebens, machte ihr nicht die Welt den Prozeß: die Mutter raunzt, die Schwester zetert und mault, der Vater greinzt, der Mann flucht und vergewaltigt. Vielleicht wollte das Stück beweisen, daß man aufs Gelaber dieser Welt nicht hören soll, wenn's um die eigene Zukunft geht...?
Was wie ein Volksstück daherkommt und an Adaptionen der Maria Magdalena Geschichte im Sinne Kroetz', Marie-Luise Fleißers und anderer erinnert, ist in seiner Grobschlä(e)chtigkeit derart schick ausstaffiert, daß nichts mehr stimmt. Die radikal vom Realismus befreite Bühne gibt ihre Künstlichkeit in modisch satten Farben. Eine einfache Gedankenwelt, mit Großstadtschick ausstaffiert — das desavouiert sich von alleine und nimmt der Betroffenheit den Boden. Wie ein schlechtes Zitat erinnern zwei dominante Flügeltüren an ein ikonenhaftes Triptychon und statisch wie diese Kirchenmalerei ist auch die Inszenierung von Barbara Beutler.
Natürlich kann auch heute das Volkstheater seine Berechtigung haben, nicht aber durch eine dem modischen Schick derart hinterherhumpelnde sogenannte Avantgarde, die die Themen nur zum Anlaß und nicht zur ernsthaften Analyse hervorholt.
Diese Zurschaustellung wirkt kleingeistig, das Stück unbeholfen und der Kunstwille aufgedonnert. Das langweilt und ist auch darin keinesfalls provozierend: Es plätschert laut und mit Geschmack und die sattsam bekannten Standards aufgesetzter Theaterlaute und belangloser Gefühlsorkane kommen wunderbar schlecht zum Tragen.
Ein gänzlich überflüssiges Stück Unwirklichkeit; manch einer ging schon vor der Zeit, um sich andernorts — in der Realität — zu ärgern. baal
Weitere Vorstellungen: 8.-11. und 15.-18. Mai in der Rost Bühne Berlin, Knesebeckstraße 29
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen