: Nach dem Streik — Katerstimmung
■ Der Streik ist ausgesetzt/ Die Urabstimmungen laufen ab Montag/ Am Wochenende müssen die Müllmänner und Postler Sonderschichten schieben.
Berlin. Der Elf-Tage-Streik ist zu Ende, und bei vielen herrscht Katerstimmung. Streikleiter Schuhmacher vom Werkhof in Wilmersdorf schimpft, eine Woche »umsonst« gestreikt zu haben. Das Ergebnis — 5,4 Prozent — sei eine »absolute Frechheit«. Seine 50 Kollegen sind so sauer, daß sie bei Schichtbeginn die Müllwagen nicht anfassen wollen. »Eine glatte Niederlage«, sagt einer, und ein anderer möchte am liebsten das ÖTV-Mitgliedsbuch zurückgeben. Jürgen Reckmann vom Gesamtpersonalrat der Stadtreinigung glaubt hingegen, daß die Belegschaften mit dem Ergebnis leben können. Allerdings befürchtet auch er, daß das Ergebnis der Berliner Urabstimmung knapp ausfallen könnte. Zumal am Wochenende 3.300 Müllmänner eine Sonderschicht einlegen müssen, um die Müllberge zu beseitigen. Sonderschichten gibt es auch bei der Post. Gewerkschaftssekretär Zuchold glaubt, daß um sechs Millionen Briefe und Pakete in den verschiedenen Zustellämtern liegen. Bis Mittwoch sollen die Berge abgetragen sein. Auf einer Funktionärssitzung wurde am Vormittag das Ergebnis diskutiert. »Man kann damit leben«, sei der Tenor gewesen. Ab Montag läuft die Urabstimmung. Zuchold ist aber zuversichtlich, denn der Tarifabschluß gilt, wenn 25 Prozent der Postgewerkschafter zustimmen. 50 Prozent Zustimmung braucht hingegen die ÖTV. Pressesprecherin Sönnichsen glaubt, die Stimmen zu bekommen, obwohl sie die Enttäuschung der Kollegen versteht. Auch sie meint: »Das Verhandlungsergebnis ist nicht voll befriedigend.« In den Streik seien die Kollegen mit höheren Erwartungen gegangen. Das jetzige Ergebnis hätten die Arbeitgeber früher billiger bekommen können. Das meint auch der DAG-Verbandsleiter Friedrich. Der Tarifabschluß sei ein »Kompromiß der Vernunft«. Allerdings müßten sich die Arbeitgeber jetzt fragen lassen, »warum sie uns zu diesem Arbeitskampf provozierten«. Ein Nachspiel wird der Streik bei der Polizei haben. Die GdP will beim Gericht feststellen lassen, ob der Einsatz von Wachpolizisten durch die Polizeibehörde rechtswidrig war.
Unterschiedliche Stellungnahmen gibt es bei den Politikern. Der Regierende Bürgermeister Diepgen, »begrüßte« die Tarif-Einigung, Finanzsenator Pieroth empfindet die 300 Millionen Mark Mehrkosten für den öffentlichen Dienst als »sehr teuer«, aber »unvermeidbar«. Der SPD-Landesvorsitzende Momper freut sich, daß der Streik vorbei ist, die Lohndifferenzierung sei »vernünftig«. Nach Ansicht des SPD- Fraktionsvorsitzenden Staffelt berücksichtige der Abschluß aber »zuwenig die soziale Komponente«. Die Ansicht teilt die Bündis 90/Grüne- Fraktionsvorsitzende Künast. »Das Ergebnis kann nur als blamabel bezeichnet werden.« Sie hofft, daß die Gewerkschaftsbasis den Abschluß »donnernd« ablehnt. aku
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen