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„Patriots“ statt Friedenspark in Sizilien

Im sizilianischen Comiso wächst die Wut über das Nato-Großmanöver vor der Haustür Gaddafis/ Geübt werden soll die „Abfangqualität der Patriot-Raketen“/ Kein offizieller Protest: Italien hat derzeit keine handlungsfähige Regierung  ■ Aus Rom Werner Raith

Gianni Persace von der Bar Centrale hebt seinen Aktenordner in die Höhe: „Dreißig“, sagt er, „volle dreißig Projekte habe ich da drin gesammelt. Alles, alles haben sie uns versprochen — von einem Öko-Park bis zu Disneyland, von einem riesigen Tourismuszentrum bis zum Zivilflugplatz, der Südsizilien mit Europa verbinden soll. Alles, was nach Frieden schmeckt. Und was haben wir nun gekriegt? Neue Raketen.“

Die sind unübersehbar. Auf riesigen Mercedes-Transportern sind sie herangerollt, nach einer längeren Reise aus Bremen. Manch einer hat es als Rache der Amis an den Deutschen empfunden, daß sie gerade den noblen Stern so manchem Farbbeutelwurf ausgesetzt, die sowieso nicht große Liebe zu den Germanen völlig auf Null gebracht haben: mit ebensolchen Lafetten soll das irakische Heer während des Krieges die Scud- Geschosse transportiert haben.

Wie auch immer: die Menschen in Comiso im südlichen Sizilien sind schwer aufgebracht. Während die Krise um die Auslieferung der beiden angeblichen Lockerbie-Attentäter weiterschwelt und eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung aus US-wahltaktischen Gründen durchaus nicht ausgeschlossen ist, haben die Amerikaner mit ihren Nato-Verbündeten eine Großübung im Raum zwischen Malta und Gibraltar angesetzt — genau dort, wo vor sieben Jahren die Einflugschneise der Bomber für die Blitzattacke auf Libyens Staatschef Gaddafi lag.

Damals allerdings hatte Italien sich das Überfliegen seines Territoriums strikt verbeten und so die aus England heranbrausenden Flugzeuge zu beträchtlichen Umwegen gezwungen. Diesmal jedoch scheinen die Nordatlantik-Paktler entschlossen, auch die südlichen Verbündeten von vornherein in eine militärische Aktion zu verwickeln.

Nominell wurde der ehemalige Flughafen Magliocco bei Comiso vor drei Jahren, nach Abschluß der Mittelstreckenverträge, von allen Arten von Raketen und Kriegsgerät befreit — ein mehrtägiges Freudenfest begleitete den Abzug der letzten „Cruise missiles“. Danach begann das italienspezifische zähe Hickhack, wem welcher Teil der Basis gehören soll und was man alles darauf einrichten könnte.

Nun stellt sich heraus, daß zwar die Hangars weitgehend leer sind. Faktisch jedoch blieben alle Einrichtungen intakt, die für eine zügige Wiederstationierung vonnöten sind. Radar und elektronisches Überwachungsgerät war gar nicht erst abgebaut worden. Weiträumige Absperreinrichtungen gegen Demonstranten waren in wenigen Stunden nach dem Muster der 80er Jahre errichtet, wo Protestierende die Basis mehr als zwei Jahre mit einem „Friedensdorf“ traktiert hatten.

Ein Sitzstreik auf den Zufahrtswegen der Staatsstraße Catania-Agrigent blockierte die Anfahrt der Raketen diesmal jedoch nicht mal ein paar Stunden. Bürgermeister Salvatore Zago sprach zwar ebenso starke Worte wie Abgeordnete verschiedener Parteien, von den Kommunisten bis zu den Grünen, doch aus den Reden brach allenfalls das Gefühl absoluter Machtlosigkeit hervor.

Geübt werden soll nach Generalstabsauskunft lediglich die „Abfangqualität der Patriot-Rakten“, angeblich reines Verteidigungsmittel, sowie die „Zusammenarbeit zwischen den Leitstellen des westlichen Mittelmeers“. Das ganze Manöver trägt den Namen „Dragon Hammer“, Drachenhammer. Für den Chef der eben neu ins Parlament eingerückten Formation „Rete“, Leoluca Orlando, „zeigt das Manöver vor allem eines: den Zynismus, mit dem unser Land wieder einmal dem Willen einer fremden Macht unterworfen wird“. Die gut siebentausend Menschen auf der großen Samstagsdemonstration klatschen ihm eifrig zu. Und zahlreich waren dann die Rufe: „Die Regierung muß sofort dagegen einschreiten.“

Das ist allerdings leichter gesagt als getan: Italien hat seit Wochen keine handlungsfähige Administration mehr. Die Neuwahlen haben keine stabilen Konstellationen geschaffen, die Regierung ist zurückgetreten — und der Staatspräsident, an sich Garant der Kontinuität, gleich mit, drei Monate vor seinem nominellen Amtsende.

So wurstelt sich das Land mit Interims-Anordnungen durch, die Geschäfte des Staatsoberhaupts nimmt der Senatspräsident bis zur Neuwahl am 13. Mai wahr, frühestens im Juni rechnen Optimisten mit einer neuen Regierung. Daß unter solchen Umständen niemand aus der bisherigen Regierung „bei auch nur irgend jemandem vorstellig werden möchte, und schon gar nicht in Washington, will er nicht schallendes Gelächter ernten — wer wollte das bezweifeln?“ fragte die Tageszeitung 'Il Giornale di Sicilia‘.

So haben sich die Demonstranten im wesentlichen damit abgefunden, mit ein, zwei eher sporadischen Protesten ihr Gewissen zu beruhigen. Zu einer dauerhaften Besetzung des „Friedensdorfes“ wie vor sieben Jahren jedenfalls hat niemand den Elan.

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