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Revolutionsrat an der Macht

Der tadschikische Präsident Nabijew schlüpfte durch die Hintertür und verschwand, nachdem seine Leibwache die Seiten gewechselt hatte/ GUS-Truppen neutral/ Feiernde Menge ruft nach Islam  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Kaum hatte der tadschikische Präsident Rachmon Nabijew seinen Regierungssitz klammheimlich durch die Hintertür verlassen, brachen die Loyalisten ihre Jurten, die sie zur Verteidigung der Regierung vor dem Gebäude errichtet hatten, ab. Die Leibgarde des Präsidenten war schon zuvor zur Koalition der sechs oppositionellen Gruppen und Parteien übergelaufen. Auch der alte Generalstabschef ist nun wieder der neue Kommandokopf. Allerdings erhält er seine Weisungen jetzt vom neu eingerichteten „Revolutionsrat“, der vorübergehend die Geschäfte übernommen hat.

Die Welt erlebte erneut einen Opperettencoup. Weiterhin bleibt unklar, wohin sich Nabijew mit seinen Mannen zurückgezogen hat. Gerüchten zufolge sei er nach Chodschent geflohen, 150 Kilometer nördlich von Duschanbe, hieß es aus Tadschikistan. Das ehemalige Leninabad, industrielles Zentrum Tadschikistans, galt als Hauptsitz der kommunistischen Stammesfürsten. Die Wiege fast aller Parteichefs der Vergangenheit stand hier, wo eine starke usbekische Minderheit wohnt, die Nabijew für seine Interessen zu instrumentalisieren versuchte. Andere Quellen vermuten, der Präsident halte sich noch in den Verliesen der KGB-Kommandozentrale in der Hauptstadt auf. Dort, munkelten Oppositionelle, säßen auch noch einige präsidententreue Elitekämpfer.

Die weitere Führungsriege des staubigen Bergstaates an der Grenze zu China und Afghanistan ergriff schon am Donnerstag die Flucht, nachdem sie in elfstündigen Verhandlungen der Opposition weitgehende Zugeständnisse einräumen mußte. Da entscheidende Köpfe der alten Regierung in dem zunächst geplanten „nationalen Versöhnungsrat“ nicht mehr mitwirken sollten, zogen sie es vor, sich gleich über die Berge aus dem Staub zu machen.

Eine Garantie für Leib und Leben der Unterlegenen kann der „Revolutionsrat“ nämlich nicht geben. Vielleicht will er es auch gar nicht. Denn zeitgleich mit der Flucht wurde ruchbar, daß Nabijew bis zur letzten Minute versucht hatte, die in Tadschikistan verbliebenen Truppen der GUS- Streitkräfte zu seiner Unterstützung zu mobilisieren. Der Oberkommandierende der GUS-Truppen, Marschall Schaposchnikow, sagte kurz vor der Flucht Nabijews gegenüber der 'Iswestija‘: „Das ist schon der dritte Tag, daß er mich drängt: Laß uns Truppen einsetzen. Ich sagte ihm, ich werde es nicht tun. Es gibt Truppen des Innenministeriums und die Miliz — klär das selbst. Politische Konflikte sollen Politiker selbst lösen.“

Die Opposition feierte. Die Zehntausenden im Zentrum Duschanbes wurden von General Said Kyomdin Gozi, bisheriger Kopf der nationalen Armee, gefragt: „Was wollt ihr?“ Die Menge antwortete ihm: „Islam, Islam“. Auch einen islamischen Staat? „Ja, ja“, rief die Menge.

Bis zur Flucht der Regierung gelang es der Opposition vereint zu handeln. Und auch die Islamische Wiedergeburtspartei (IWP) gab sich als eine gemäßigte Kraft. Sie forderte zwar die Wiederbelebung islamischer Traditionen, sprach sich aber für eine Trennung von Staat und Kirche aus und plädierte für die Schaffung eines parlamentarischen Regierungssystems. Doch die Dynamik der Entwicklung könnte diese Position überholen, zumal die Auseinandersetzungen in Afghanistan auf Tadschikistan überschwappen könnten.

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