: Gen-Geschnetzeltes auf dem Frühstückstisch
Seit zwei Jahren bastelt die EG-Kommission an einer Verordnung für gentechnisch hergestellte Lebensmittel ■ Aus Brüssel Michael Bullard
Im Kabinett des Binnenmarktkommissars Martin Bangemann hängt der Haussegen schief. Mitarbeiter Reinhard Büscher wollte den deutschen Medienvertretern in Brüssel auf die Sprünge helfen. Thema der Nachhilfestunde: Die „umsichtige“ EG-Gesetzgebung für gentechnologisch hergestellte Lebensmittel. Der Versuch der Faktenverdrehung ging jedoch nach hinten los. Seitdem hagelt es kritische Berichte. Folge: Obwohl bereits für Anfang April angekündigt, ist auch die elfte Fassung der Verordnung über die gemeinschaftsweite Zulassung und Vermarktung „neuartiger Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten“ bislang noch nicht bekanntgegeben.
Was hier gesetzlich geregelt werden soll? Die große Palette der neuen Produkte läßt sich grob einteilen in Nahrungsmittel wie Obst, Gemüse oder Fisch, die selbst gentechnisch verändert wurden, Nahrungsmittel wie Milchprodukte, die aktive transgene Organismen enthalten, Nahrungsmittel wie Brot oder Bier, die inaktive transgene Organismen enthalten und gentechnisch produzierte Zutaten wie Enzyme. Novel Food, das sind also gentechnisch veränderte Hefebakterien ebenso wie mit Skorpion-Genen in Pestizide verwandelte Tomaten oder Kartoffeln. Weil aber noch nicht genau bekannt ist, was die neuen Kreationen mit der Darmflora oder, wenn sie einmal draußen sind, mit der Umwelt anstellen, sollten Produktion und Vermarktung geregelt werden. Daran bastelt die Abteilung Binnenmarkt der EG-Kommission nun schon seit knapp zwei Jahren.
Das Schwein in einer verworrenen Situation
Während die neuen Lebensmittel in Deutschland vermutlich noch nicht auf dem Markt sind, werden sie in anderen EG-Ländern wie Großbritannien zum Teil schon vertrieben. Unklar ist allerdings, ob nicht aus Japan eingeführte Vitamine, aus den USA importierte Süßstoffe oder aus Dänemark stammende Enzyme auch in der Bundesrepublik bereits aus der Retorte kommen. Die ausländischen Produzenten von Novel Food machen sich dabei eine Gesetzeslücke zunutze, die zwischen dem Gentechnikgesetz klafft, das keine Lebensmittel kennt, und dem Lebensmittelrecht, bei dem die Gentechnik keine Rolle spielt.
Wie verworren die rechtliche Situation ist, zeigt das Beispiel des gentechnologisch manipulierten Schweins, das in Deutschland als Sondermüll entsorgt werden müßte. Würde dasselbe Schwein allerdings als Wurst oder Schinken in die Bundesrepublik eingeführt, so könnte es ungehindert auf dem heimischen Frühstückstisch landen. Hier Klarheit über den Zugang von Lebensmitteln aus der Genfabrik zum deutschen Markt zu schaffen, ist allerdings nur ein Ziel, das die EG-Kommission mit der Verordnung erreichen will. Die eigentliche Absicht ist, generell Wettbewerbsverzerrungen für die neuen Produkte im Binnenmarkt durch bestehende oder geplante nationale Vorschriften zu verhindern. Deshalb soll die Verordnung bereits am 1. Januar 1993 in Kraft treten. Die Gesetzesform „Verordnung“ wurde von der Kommission anstatt der in solchen Fällen üblichen EG-Richtlinie gewählt, weil letztere von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten in nationales Gesetz umgesetzt werden müßte und so Raum für unterschiedliche Auslegungen gäbe. Die Verordnung hingegen ist unmittelbar nach ihrer Verabschiedung durch den Ministerrat EG-weit geltendes Recht.
Die europäischen Gesetzestextler befinden sich jedoch in einer Zwickmühle: Fällt ihr Paragraphenwerk zu lasch aus, stärkt dies die Position der Kritiker, was die Akzeptanz der neuen Lebensmittel bei den zukünftigen Konsumenten unterminiert. Geben sie hingegen strengeren Vorschriften den Vorzug, ziehen sie sich den Unmut ihrer Klientel, der Gentech-Industrie, zu. Vertreter des „Europäischen Liaisonkomitees der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie“ in Brüssel sind bereits unermüdlich im Einsatz, um eventuelle Ausrutscher der Bangemann-Mitarbeiter zu verhindern. Als solcher wird von ihnen die elfte Fassung des Verordnungsentwurfs eingeschätzt. Denn während die vorhergehende Version der Gentech-Industrie einen EG-weiten Freibrief für die Produktion und Vermarktung der neuen Lebensmittel ausgestellt hätte, sind in der neuen Fassung immerhin einige Hürden eingebaut worden.
Dem Novel Food ist nichts anzusehen
Eine Genehmigung für die Vermarktung muß jetzt von der EG-Kommission unter anderem für alle Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten eingeholt werden, „die einen Organismus oder einen Teil davon enthalten, aus ihm bestehen oder durch ihn produziert wurden, der zur Zeit bei der Lebensmittelherstellung verwendet wird, aber durch konventionelle Züchtungsmethoden oder Gentechnologie so verändert wurde, daß er ein neues Merkmal enthält oder daß ihm ein Merkmal fehlt“. Mit der Einfügung dieser Kategorie reagierte die Kommission auf einen Haupteinwand der Kritiker, daß nur Lebensmittel geprüft werden müßten, die eine „signifikante Veränderung“ in ihrer Zusammensetzung oder ihrem Nährwert aufweisen.
Das Prüfungsverfahren selbst blieb allerdings praktisch unverändert. Der Antragsteller, der ein neues Lebensmittel in der EG vermarkten möchte, muß die EG-Kommission davon benachrichtigen. Dazu genügt die Übersendung einer Zusammenfassung des Testergebnisses und der Unbedenklichkeitserklärung eines Experten. Dieser kann aus einer Liste unabhängiger Wissenschaftler ausgewählt werden, die die Mitgliedsstaaten bis Ende des Jahres benennen sollen. In der EG- Behörde gibt man sich allerdings keinen Illusionen hin ob der „Unabhängigkeit“ der Experten. Daß sie auch in den Diensten der Industrie stehen, die sie beurteilen sollen, hält Bangemann für „vollkommen natürlich“.
Um so unwahrscheinlicher ist es nach Ansicht der Gesetzestextler, daß jemals die zweite Stufe des Zulassungsverfahrens in Anspruch genommen wird. Es soll allerdings, und dies ist neu, bei all den Fällen angewandt werden, bei denen „das Lebensmittel als lebensfähiger Organismus konsumiert wird oder keine allgemein akzeptierten wissenschaftlichen Daten bestehen, die die Sicherheit des Produkts belegen“. Bei der Entscheidung darüber wird die EG-Kommission unterstützt von einem ständigen Lebensmittelausschuß. Falls es in diesen Gremien zu keiner Einigung kommt, ist die letzte Instanz der EG-Ministerrat.
Erst auf der zweiten Stufe will die EG-Behörde überhaupt erwägen, ob das Lebensmittel als neu gekennzeichnet werden soll. Denn ein generelles Label, so Büscher, würde schließlich die neuen Produkte stigmatisieren. Essen Sie gerne Gen-Geschnetzeltes? Dies bleibt also weiterhin eine rhetorische Frage: Der Verbraucher wird nur in den seltensten Fällen die Wahl haben. Denn die gentechnische Aktivierung ist dem Novel Food in der Regel nicht anzusehen.
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