: Nie VEB gewesen
■ Buch & Messe: Ein Interview mit Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld
taz: Herr Unseld, Sie haben sich sehr kritisch über die Leipziger Buchmesse geäußert in dem Sinne, daß Leipzig kein Konkurrenzunternehmen zu Frankfurt werden dürfe. In der 'Leipziger Volkszeitung‘ wurde Ihnen der Boykott der hiesigen Messe vorgeworfen. Geben Sie Leipzig keine Chance?
Siegfried Unseld: Ich bin unbedingt dafür, daß Leipzig den Rang jener Buchstadt, den sie hatte, wieder bekommt. Und zwar mit allen Möglichkeiten, also Sitzungen einer künftigen Buchhändlerakademie etc., wir wollen hier möglichst viele Aktivitäten konzentrieren. Frankfurt hat sich etabliert als die internationale Buchmesse überhaupt. Die Frankfurter Buchmesse ist die wichtigste Buchmesse weltweit, und ich meine, man sollte dies für das deutsche Buch erhalten. Frankfurt ist so entscheidend für die internationale Kooperation, daß ich diese Messe nicht gefährdet sehen möchte, weder vom „Salon de Livre“ in Paris, noch von der „Book- Exibition“ in New York. Bei all diesen ausländischen Ausstellungen müssen sich die deutschen Verlage beteiligen. So — jetzt wollen wir doch nicht innerhalb Deutschlands noch einen zweiten Platz schaffen, eine zweite Messe, bei der diese internationalen Kooperationen möglich sind. Wir deutschen Verleger zeigen ausländischen Verlagen unsere Manuskripte und vice versa — und das in Frankfurt. Ein Beispiel: Der Suhrkamp Verlag wird im nächsten Jahr eine sehr bedeutsame, die erste authentische Biographie von Einstein veröffentlichen, und jetzt ist diese Frankfurter Buchmesse eine phantastische Möglichkeit, im Vorfeld des Erscheinens schon internationalen Verlegern dieses Buch zu zeigen. Da meine ich, dies sollte man Frankfurt überlassen. Ich glaube nicht, daß wir deutschen Verleger die manpower und die Finanzen haben, hier in Leipzig etwas ähnliches zu machen.
Was bleibt denn der Buchstadt, wenn sie keine Messe hat? Und wenn sie eine haben sollte, welches Profil müßte sie haben?
Ich bin für diese Buchmesse in Leipzig, aber nur, wenn sie andere Akzente hat. Wir müssen eben — und das predige ich ja in Leipzig und auch in Frankfurt — Geduld haben. Aber diese Buchmesse ist nur eine Sache. Es gibt so vielfältige Möglichkeiten, im Bereich des Buches zu wirken. Ich kann mir vorstellen, in drei oder fünf Jahren sieht dies alles ganz anders aus. Wie lange dauert es, um eine Infrastruktur für Buchhandlungen zu schaffen! Das ist wichtig, hier fehlt der Humus für literarisches Leben. Man sprach immer vom „Leseland DDR“ und hat erfahren, daß dies eine Chimäre war. Oder anders formuliert, es war eine Idylle, die aus dem Mangel entsprang. Aus dem Mangel und aus diesem Subventionsverhalten — das beeindruckt mich nach wie vor —, die die DDR-Regierung zeigte. Nur, jetzt sehen wir doch: so unmittelbar virulent ist das Nachholbedürfnis gar nicht. Und ich rede jetzt ganz positiv: Das Buch ist ein Lebensmittel, aber zunächst kommen hier andere Lebensmittel in Frage, und das ist vollkommen richtig. Je schneller man mit diesen Lebensmitteln vertraut wird, desto schneller wird man zum Lebensmittel Buch zurückkehren.
Welche Buchmesse sollte die Ostdeutschen denn erwarten, wenn sie aus der Mikrowelle kommen?
Es liegt eine Perspektive in der Schaffung deutlicher kultureller Schwerpunkte. Sehen Sie, in Frankfurt ist der kulturelle Schwerpunkt Spanien oder im nächsten Jahr Holland. Frankfurt reagiert international. Eine Leipziger Buchmesse hat andere Schwerpunkte. Ich finde es ja ganz großartig, daß ein solcher Schwerpunkt dieses Jahr Uwe Johnson war. So etwas schafft die Frankfurter Messe nicht. Dann müßte man die Literatur in Beziehung setzen zu anderen kulturellen Bereichen, also Kunst und Musik, und entsprechende Veranstaltungen machen, um diese bedeutsamen Aspekte des Buches zu betonen. Aber das dauert, bis dies wirklich attraktiv wird. Ich kann mir gut vorstellen, daß hier eine neue Gesprächslandschaft für Literatur entsteht. Dies wird in Frankfurt immer schwieriger.
Was kann denn eine „Hommage à Johnson“ für Leipzig leisten?
Es ist schon interessant. Dreimal sind unsere Vertreter zu den hiesigen Buchhändlern gereist, und zwei Autoren unseres Verlages sind besonders nachgefragt worden: Hermann Hesse und Uwe Johnson. Ich meine, daß Uwe Johnson hier eine wirkliche Renaissance haben wird, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Die Intellektuellen in den neuen Bundesländern stecken zu einem guten Teil in einer Identitätskrise und fragen sich, wie war das möglich und was ist noch bewahrenswert? Nun kommt das Werk von Uwe Johnson, und es zeigt etwas vom Beginn dieser DDR: auf der einen Seite den Zusammenhalt, den euphorischen Aufbruch und warum dies letztlich nicht lebbar war. Ingrid Barbendererde wird einen ganz anderen Stellenwert bekommen als zum Zeitpunkt des Entstehens, Anfang der fünfziger Jahre, als es von allen DDR-Verlagen abgelehnt wurde.
Noch einmal zur Messe: Kein Leipziger Buchhändler oder Verleger und auch nicht die Messe GmbH hat ernsthaft vor, eine Konkurrenz gegen Frankfurt aufzubauen. Trotzdem soll die Messe interessant für die deutschen Verlage sein. Sie soll klein sein, in der Innenstadt gelegen, nicht so abgeschottet wie in Frankfurt, und es soll eine Autorenmesse und vielleicht auch eine Verkaufsmesse sein.
Dafür bin ich sofort. Ich könnte mir vorstellen, wir machen hier parallel zum Pariser „Salon de Livre“ auch eine Verkaufsmesse. Ich bin sogar — aber das ist jetzt schwierig, wenn ich das sage — dafür, daß man dann die für uns sonst so wichtige Einrichtung des festen Ladenpreises mal aufhebt. Also wir sagen dann: 25Prozent. Aber so was trägt die Messe nicht allein. Es braucht eben Zeit. Wenn die Buchhandelslandschaft hier gefestigt ist, könnten daher Vorstellungen kommen, es könnte sich eine Gesellschaft gründen, die auch finanziell einsteigt. Vielleicht ist ja der „Salon de Livre“ eher das Modell für Leipzig als für Frankfurt. Die Buchhändler hier müßten sich verständigen, daß Preisnachlässe möglich sind. In Frankfurt geht so was nicht. Der Börsenverein ist ja Haupteigner der Messe und hat in der Mehrzahl Buchhändler als Mitglieder. Die wehren sich natürlich gegen ein solches Ansinnen.
In der Buchstadt Leipzig müßten sich vielleicht auch die westdeutschen Verleger mehr als bisher engagieren, eben um Leipzig auch im Sinne der Infrastruktur als Verlagsort zu etablieren. Zum Beispiel der Suhrkamp-Verlag als Insel-Besitzer, — was wird aus dem ehemals eigenständigen DDR-Insel-Verlag nach der Übernahme?
Das ist eine sehr lange Geschichte. Wie hat die DDR diesen Verlag behandelt? Insel ist einer der ganz wenigen Verlage, die nicht enteignet und nicht VEB waren, die einen besonderen Status hatten — das hatte Vor- und Nachteile und war einem Autor dieses Verlages zu verdanken, Johannes R. Becher, damals Kulturminister der DDR. Und der hat die Hand darüber gehalten.
Es war und ist sehr schwierig für den Verlag, ein Programm zu entwickeln, das Prestige, etwa der Insel-Bücherei, zu erhalten. Wir wollen in Leipzig eine wichtige Verlagsstelle erhalten. Wir mußten reduzieren, aber wir haben jetzt eine Art Arbeitsgemeinschaft, und bestimmte Projekte, die wir gemeinsam beschließen, werden in Leipzig realisiert. Ich bin ganz positiv gestimmt. Zum Beispiel Rilke, den Insel/DDR so gepflegt hat, soll unbedingt weitergeführt werden. Überhaupt soll die ganze Insel-Bücherei hier gemacht werden. Geplant wird gemeinsam, aber die Produktion soll von hier aus erfolgen. Das ist mein Beitrag, den ich für die Buchstadt Leipzig leisten möchte.
Interview: Nana Brink, Leipzig.
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