piwik no script img

Oberschöneweide — »Enterprise Zone«

■ Ein Gutachten zur Entwicklung Oberschöneweides wurde nun vorgelegt/ Das Bezirksamt, der Berliner Senat und die Treuhandanstalt arbeiten in einem Pilotprojekt zusammen/ Die Gründung einer Entwicklungsagentur wird überlegt

Oberschöneweide. Zu DDR-Zeiten war Oberschöneweide ein Zentrum der Ost-Berliner Industrieproduktion. Heute ist es auf den ehemals belebten Straßen ruhiger geworden, seitdem immer mehr Betriebe ihre Belegschaft reduzieren mußten. Von ehemals rund 20.000 Beschäftigten haben hier noch 4.500 Arbeit. Davon sind wiederum 1.200 in sogenannten Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen, weitere 850 haben sich selbst Arbeitsplätze in rund 98 neuen Kleinfirmen organisiert.

Um den Niedergang zu bremsen, haben nun erstmals Treuhand, Senat und Bezirksamt ein gemeinsames Entwicklungsmodell vorgestellt. Das bisherige Prinzip, freiwerdende Industrieflächen so teuer wie möglich zu verkaufen, möchten die Beteiligten nun zugunsten einer Entwicklungsagentur zurückdrängen. Sie soll die freiwerdenden Flächen aufbereiten und vor allem mittelständische Gewerbebetriebe ansiedeln. Oberschöneweide könnte damit zum Standort »produktionsnaher Dienstleistungen« in Berlin entwickelt werden, wie es vorige Woche bei der Präsentation des Konzeptes hieß.

Erarbeitet wurde das Konzept von der englischen Beratungsfirma »Sir Alexander Gibb and Partners« (GIBB) im Auftrage des Bezirksamtes Köpenick. Vor allem rasches und koordiniertes Handeln ist nach Meinung von GIBB nötig, wenn das Spreeknie den harten Konkurrenzkampf um Industrieansiedlung in Berlin und Brandenburg bestehen soll. Gute Chancen auf einen raschen Aufschwung sehen die Berater, wenn vor allem die Infrastruktur verbessert wird. Der Niedergang im bisher größten Industrierevier Berlins könnte so aufgehalten und umgekehrt werden. Einen Namen für das Projekt ist auch schon gefunden: »Spreeknie Enterprise Zone«.

Optimismus verbreiten vor allem das Bezirksamt Köpenick und der »Präsidialbereich Länderfragen« der Treuhand, die das Konzept gemeinsam vorstellten. Seit einiger Zeit kooperieren sie schon mit dem Senat in einem »Projektbeirat Spreeknie«. In diesem Gremium wurde die Absprache getroffen, freiwerdende Industrieflächen zur Gewerbeansiedlung zu nutzen, statt sie bloß dem meistbietenden Bodenspekulanten hinterherzuwerfen.

Dr. Klaus Ulbricht (SPD), zur Zeit zuständiger Stadtrat für Wirtschaft und Finanzen im Bezirk Köpenick, bemüht sich seit seinem Amtsantritt im Frühjahr 1991 um eine Zusammenarbeit von Senat und Treuhand: »Uns zerrinnt die industrielle Kapazität unter unseren Händen.« Obwohl im Senat die Orientierung auf eine reine »Dienstleistungs-Metropole Berlin« abgelehnt wurde, sieht er jedoch eine gute Grundlage für Kooperation zwischen Treuhand, Senat und Bezirksamt. »Wir können ja aus den Leuten hier nicht von heute auf morgen Büroangestellte machen.«

Auch der Treuhand kommt die neue Zusammenarbeit durchaus gelegen. »Nicht zuletzt wollen wir natürlich unser Image aufbessern«, meint selbstbewußt Knut Herbst vom »Präsidialbereich für Länderfragen«. Darüber hinaus aber ist die Treuhand bei ihren Verkäufen in Oberschöneweide in gewissem Maße auf die Kooperation mit dem Senat und den Bezirken Köpenick und Treptow angewiesen. Schließlich nehmen sie — etwa durch die eigene Investitionstätigkeit oder bei Genehmigungen von Bauplänen — Einfluß darauf, wie die Infrastrukur zukünftig beschaffen sein wird. Ohne Parkplätze für Mitarbeiter und angemessenen Wohnraum für Manager lassen sich Investoren schwerlich nach Oberschöneweide locken.

Die eigentlichen Initiatoren des Dialogs um die Zukunft Oberschöneweides sind allerdings inzwischen nicht mehr dabei — die örtlichen Betriebsräte. Noch rechtzeitig vor der ersten großen Entlassungswelle in den größten Betrieben Oberschöneweides im Sommer 1991 hatten sie in einer Regionalkonferenz alle Entscheidungsträger eingeladen. Vor allem der Betriebsrat des Werks für Fernsehelektronik (WF) mit seinem damaligen Vorsitzenden Holger Kaselow forderte unbeirrt von der Politik, Oberschöneweide als »modifizierten Industriestandort« zu erhalten.

Einmal in Gang gebracht, konnten die Betriebsräte allerdings immer weniger Einfluß auf Inhalte und Perspektiven des regionalen Dialogs nehmen. Immerhin bleibt ihnen der Trost, zur Gründung der »Gemeinnützigen Beratungsgesellschaft« (GBG) beigetragen zu haben. Eine Teilnehmerin der ersten Regionalkonferenz, die Senatorin für Arbeit, Christine Bergmann (SPD), hatte den großen Bedarf nach Beratung in allen Fragen von AB-Maßnahmen verstanden und die Gründung der Servicegesellschaft angeregt. Die GBG leistet nun zahlreichen Beschäftigunggesellschaften, Projekten und Vereinen Hilfestellung, die mit AB-Maßnahmen in Treptow und Köpenick ausgestattet werden. Hierfür wurde eigens von der GBG ein vierjähriger Fördervertrag mit dem Land Berlin abgeschlossen. Versucht wird, die Projekte zu stabilisieren und Ausgründungen in überlebensfähige Firmen zu ermöglichen.

Auch Sach- und Personalkosten werden bereitgestellt, und selbst Geschäftsführer werden geschult. »Wir haben sehr schnell festgestellt«, so Hans Mühe, einer der zwei Geschäftsführer, »daß es gilt, Umweltschäden zu beseitigen. Und wir haben auch früh erkannt, daß große Betriebsflächen einer neuen Nutzung zugeführt werden müssen.« Die GBG ist so neben einem arbeitsmarktpolitischen Instrument des Senats am Spreeknie möglicher Partner zur Entwicklung »produktionsnaher Dienstleistungen« im Bereich der Flächensanierung. Auch Knut Herbst von der Treuhand konstatiert ihr Know-how auf dem Gebiet der Sanierung freiwerdender Industrieflächen. Freilich nicht ohne Hintergedanken: Er möchte, daß die GBG auch einfachste Aufräumarbeiten in Oberschöneweide organisiert. Martin Jander/Stefan Lutz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen