Die Verhandlungen sind festgefahren

Bei der Konferenz zur Vorbereitung einer neuen Verfassung für ein demokratisches Südafrika streiten sich Regierung und ANC über notwendige Mehrheiten/ „Angst vor der Demokratie“  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Die Mehrparteienverhandlungen über die Zukunft Südafrikas sind am Freitag vorerst festgefahren. Stundenlang war die zweite Vollversammlung des „Konvents für ein demokratisches Südafrika“ (Codesa 2) gestern morgen verschoben worden, um in letzter Minute noch eine Einigung zu ermöglichen. Die 19 vertretenen Delegationen sollen die Richtlinien für den Übergang von der Apartheid zur Demokratie schaffen.

Aber die südafrikanische Regierung und der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) stritten sich weiter über die Modalitäten, mit denen eine verfassunggebende Versammlung ein neues, demokratisches Grundgesetz verabschieden soll. Kernpunkt des Streits waren die erforderlichen Mehrheiten. Der ANC fordert, daß eine Verfassung mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet wird. Die Regierung verlangt eine Dreiviertelmehrheit und fordert, daß eine obere zweite Kammer der Versammlung ein Veto haben sollte. Der Senat sollte aus regionalen und Minderheitsparteien zusammengesetzt werden. Das lehnte der ANC ab und schlug statt dessen zuletzt eine Mehrheit von 70 Prozent vor. Das nahm die Regierung nicht an.

Damit wurde das erklärte Ziel für Codesa 2, ein Abkommen über alle Aspekte des Übergangs zu einer demokratischen, nichtrassistischen Ordnung, verfehlt. Die Verhandlungen sollen aber fortgesetzt werden.

„Wir sind überzeugt, daß die südafrikanische Regierung in die heutigen Verhandlungen nicht mit der Absicht gekommen ist, ein Abkommen zu erzielen“, sagte ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa am Freitag. Er warf dem Leiter der Regierungsdelegation, dem stellvertretenden Verfassungsminister Tertius Delport, ein emotionales und beleidigendes Vorgehen in den Verhandlungen vor.

„Die Regierung ist immer noch nicht von ihrer Absicht abgerückt, ein Minderheitsveto über die Zukunft des Landes zu haben“, sagte Joe Slovo von der südafrikanischen Kommunistischen Partei. „Vor nichts haben sie so große Angst wie vor der Demokratie.“

Bei der Feilscherei um die Mehrheiten geht es nicht um Kleinlichkeiten. Alle Parteien schielen auf Meinungsumfragen, die ihre Unterstützung in der Bevölkerung getestet haben. Dabei kann beispielsweise die regierende Nationale Partei (NP) offenbar mit zwischen 20 und 30 Prozent der Stimmen in einer nichtrassistischen Wahl rechnen. Sollte also eine Verfassung mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden, könnte die NP keine Blockademöglichkeit mehr haben.

Der ANC hofft andererseits, zusammen mit Verbündeten wie der Kommunistischen Partei zwei Drittel der Stimmen in einer verfassunggebenden Versammlung zu haben, also eine Verfassung selbst bestimmen zu können. Allerdings ist der ANC bereit, in besonders wichtigen Bereichen die Forderung einer größeren Mehrheit zu akzeptieren, beispielsweise bei der Verabschiedung eines Menschenrechtskatalogs.

„Die NP ist nicht willens, dem Druck des ANC in Fragen nachzugeben, in denen keine ausreichende Einstimmigkeit erzielt worden ist“, hieß es in einer Erklärung der Regierungspartei.

Da über den entscheidenden Prozeß der Ausarbeitung einer neuen Verfassung keine Einheit erzielt werden konnte, sind auch die Abkommen über andere Bereiche des Übergangsprozesses vorläufig suspendiert.