: Lexikon des Krauchens und Fleuchens SUPERSHIFT F8SUPERSHIFT F1
Beine, die einknicken unter der Last der Entscheidungen: Der japanische Butoh ist wieder jung. Von Meisterinnen und Meistern im Tanz des Dunkels — und ihren ohnmächtigen Epigonen. Vom Bremer Butoh-Festival ■ Manfred Dvorschak
Seit 1959 der japanische Tänzer Tatsumi Hijikata verloren über die Bühne schweifte, nach einem Akt der Sodomie ein Tier tötete und dann ins Dunkel entfloh, seitdem geht ein Raunen durch die Tanzwelt des Westens. Die Japaner allerdings mochten sich mit so regellosen, finstren Gewalten nicht anfreunden; sie liebten weiterhin, was der neue Butoh so widerwillig verwarf: das emsige, selbstvergessene Aufbauwerkeln nach dem Krieg, und abends, wenn überhaupt, die hochfliegenden Ballettcompagnien, die zu Dutzenden aus Europa herüberkamen. Heutzutage gilt der Butoh, dieser krallige, zittrige Tanz des Dunkels und der Häßlichkeit, in Japan noch immer nichts, in Europa um so mehr. Überall sieht man plötzlich diese eingeknickten Knie, diese verrenkten Gelenke. Aber wunderbarerweise sind solche Kopien meist bloß zum Lachen. Das Bremer Butoh-Festival zum Beispiel zeigte an zwölf Abenden eine Auslese der größten Meister und der kleinsten Epigonen.
I.
Zuallererst Kazuo Ohno, 86 Jahre alt, Kinderseele des Butoh, mitsamt seinem Sohn Yoshito: Das Publikum im Schauspielhaus, bald vollends verzaubert zu Mucksmäuschen, sah vom Ballerinentum der himmellangen Beine, wie es damals am Kaiserhof von Tokio so beliebt war, das japanische Gegenteil; von der Schönheit das krummbeinige Stiefgeschwisterchen; und fand es unwiderstehlich. SUPERSHIFT F8SUPERSHIFT F8SUPERSHIFT F2
II.
Ein Ohno renkt sich, bis ihm die Krallenhände aufgehen und der Untierschädel sich abnehmen läßt; der andere krümmt sich langsam erdwärts zur Kreatur im Rüschenkleidchen: Ein Leben imitiert das andere; so kommt es voran. Man hat ja nicht geglaubt, wie lehrreich und bezaubernd die Lebensweise selbst eines roten Teetischchens sein kann. Wer klug ist, erkennt darin die reglose Verwandte, läßt sich von ihr die Hölzernheit beibringen.
So übersetzt sich eins ins andere, und wie komisch manchmal: Wenn wir zum Beispiel die verschollenen Posituren des deutschen Ausdruckstanzes wiederfinden, die sich vor vierzig Jahren der junge Butoh begeistert einverleibt hat. All dieses Armewerfen, all diese exaltierten Rümpfe. Hier sind sie, mit Ehrfurcht vollführt, auf einmal wieder jung — und erzählen die schrillsten Witze über sich.
KaCho FuGetsu heißt das Stück, was soviel bedeutet wie Blume, Vogel, Wind, Mond. Und wirklich, wir sehen, in bunten Szenen, das Große Lexikon des Krauchens und Fleuchens: Selbst die Musik, eine Art Golden Hour of Brahms, Bach und Kitaro, löst sich immer wieder in Bewegung auf: Zum Klang einer Drehleier schlurft Ohno wunderlich räderwerkelnd umher; und schließlich die Majestät unter den Straußenwalzern, nämlich An der schönen blauen Donau, treibt ein wahres Wunder um: Da dreht sich der alte Zauberer vor Vergnügen über den Dreitakt, wie ihn sein Körper hervorbringt überall zugleich; lauter ineinandergerenktes Kreisen von Händen und Hüften, gestockte Wendungen, kippende Achsen, bis endlich von oben bunte Seidentücher auf den Taumel herniederregnen aus Entzücken.
III.
In allem verkörpert der Tänzer das Gegenteil: im Frauenkleid den Mann, in Menschengestalt stampfend die Lokomotive, im Walzer das Andersrum. Wir sehen, was Körper alles sein können, wenn sie von dort, wo wir bloß noch unsere Metaphern schürfen, neue Lebensform beziehen: Sie brechen ein „wie Reisig“, aber, o Wunder, es knackt nicht. Sie tanzen, die Mannsbilder, „wie Frauen“, in die man sich sogleich verliebt, und sind's aber dann, o Besen, Besen, gewesen.
IV.
Der westliche Tanz will, daß der Mensch etwas Besseres sei, und strebt nach dem Erhabenen, und hätte er seine Methoden auch noch so energisch ernüchtert und zur Vernunft gebracht. Er kommt, ob er will oder nicht, vom Ballerinentum der himmellangen Beine her. Der dreckigste, ehrlichste Tanz hat ein Ideal und strebt, ob er's schafft oder nicht, zur einen, höchsten Geste: Arme, Augen, alles empor.
V.
Das Festival bot in diesem Sinne Material für verblüffende Entdeckungen. Jeder Tanz, sobald er sich doch wieder aufraffte und anfing zu bedeuten, wurde öd und leer. Mitsuru Sasaki, sonst ein enormer Tänzer, machte nach einer Viertelstunde rebellischer Unnahbarkeit die Glotze an und bewegte sich passend zu Kriegsbildern. Fortan sah jedes Händereiben wie „Waschen“ aus und jedes Waschen wie „in Unschuld“, und jedem Schulterruckeln mußte man pazifistische Ambitionen zutrauen, und man fragte sich, warum er nicht sagt, was er meint.
Oder Carlotta Ikeda mit ihrer Compagnie Ariadone: Da hatten wir lange, lange gestaunt und gegluckst über die Frauen, wie sie über die Bühne schlurften, schleiften, ruckelten und zuckelten, ja, wie sie geradezu ein Ganzkörperschnattern vollbrachten ohne einen Laut; die Compagnie hat ja eine ziemlich fröhliche Spielart des Butoh entwickelt, einen Tanz von quasi juckpulvriger Aufgekratztheit. Aber plötzlich, gegen Ende, erhoben sich die Tänzerinnen und wandten sich sehnenden Blicks himmelwärts und zelebrierten ein Finale, welches uns einbläute, daß der Weg per aspera ad astra zu gehen hat und daß, was uns vorher irrtümlich so gefallen hatte, bloß die niederen Stadien gewesen waren.
VI.
Der westliche Tanz in seiner Not wird, um sich gegen das Sprechtheater zu beweisen, immer seine Aussagen machen wollen. Er behandelt den Körper als Darsteller, der leider keine Stimme hat, so daß man ihm, was er nicht sagen kann, eben ablesen muß. Auch im Festival sind also, gemäß dem gebräuchlichen Wimpelalphabet, unentwegt Bedeutungen gehißt worden. Nur entblößte sich in diesem Umfeld die Botschaft sogleich als Zudringlichkeit. Das läßt im umgekehrten Sinne hoffen, daß der Butoh, dieser auf gut japanisch so eben noch gebändigte Veitstanz, den westlichen Gepflogenheiten nicht einzuverleiben ist. Die meisten Versuche nahmen sich jedenfalls komisch aus: eingeknickte Knie, krampfige Hände, aber alles bloß für einen guten Zweck. Was der Butoh gleichmütig liebt, das Dunkle, der Tod, das Häßliche, alles das erscheint bei den Epigonen begütigt, also wie in Gänsefüßchen: „Je nun“, so erfahren wir da, „so was gibt's, aber ideal ist das nicht.“ Ideal sind womöglich die guten Gründe, aus denen Eva Schmale ihr Theater gleich ein „leibliches“ nennt; ideal ist womöglich gar das Pathos, mit dem jene Tänzerin, der zum Butoh nur eingefallen ist, sich „Mikado“ zu nennen, ihre Jazzgymnastik vollführt.
VII.
Dagegen Ko Murobushi, einer der wichtigsten Choreographen des Butoh: Einen Abend lang zeigte er einen zitternden, bebenden, schnellenden Körper, hart an der Grenze, wo sich Leben und Tod gute Nacht sagen; zeigte in all seinen Qualen einen Körper, der nur noch zu sich selber sprach, der alle Gewalten, die in ihm wirken mochten, uns entzog und zur Implosion brachte, der sich, anders als aller westliche Tanz, für keinerlei Bedeutungsträgerschaft mehr hergibt, der, als Konzentrat von namenlosen Kräften, nun doch wieder beunruhigend wird. Weil er so sparsam mit ihnen umgeht. Der Butoh ist die ursprüngliche Akkumulation der Raserei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen