: Der Weg zurück in die Horrorrealität der deutschen Geschichte
■ Rozwadow, Przemysl, A-Ghetto Krakau und Zwangsarbeiterlager Mielec: die Stationen des Lagerkommandanten Josef Schwammberger
Als während der Hauptverhandlung die Ortsnamen fielen, wußte wohl kaum jemand, wo der Ort Rozwadow lag. Von der Stadt Przemysl hatte man zwar gehört, doch wie bei so vielen Prozessen gegen NS-Verbrecher wurden hier Vorgänge behandelt, über die zumeist nur fragmentarisch geschrieben worden ist.
Für die in Polen lebenden Juden bildete das Jahr 1942 den Höhepunkt der Vernichtungsaktion der Nazis. Vom Frühjahr dieses Jahres an, beginnend in den jeweiligen Distrikthauptstädten Lublin, Lemberg, Krakau, Warschau und Radom, verschleppte die Sicherheitspolizei die jüdische Bevölkerung in die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka. Unterstützt wurden sie dabei vor allem von früheren Sowjetsoldaten, sogenannten Hilfswilligen aus dem SS-Ausbildungslager in Trawniki bei Lublin. Beteiligt waren aber auch Einheiten der Waffen-SS sowie deutsche und polnische Polizisten.
Die Ghettoräumungen fanden unter grauenvollen und aufsehenerregenden Begleitumständen statt, die weder von den Einheimischen, noch von den dort lebenden Deutschen übersehen werden konnten. Hunderte von Zeugen haben darüber in vielen Gerichtsverfahren ausgesagt, ohne daß die internationale Öffentlichkeit davon Kenntnis nahm. Die Ghettoräumungen, die von den jeweiligen SS- und Polizeiführern (SSPF) der Distrikte geleitet wurden, waren nicht unumstritten; denn die Deportation der jüdischen Bevölkerung riß Lücken in die Reihen der Zwangsarbeiter, die bei der Wehrmacht, in der Rüstungsindustrie, ja sogar bei der Sicherheitspolizei tätig und für die Kriegswirtschaft unentbehrlich waren.
Die SSPF versuchte daraufhin, kleinere Gruppen von Arbeitskräften vorläufig zurückzuhalten. Heinrich Himmler verhandelte mit der Wehrmacht und löste den schnell eskalierenden Konflikt, indem er die noch notwendig erachteten Arbeitskräfte in Lagern konzentrierte, die ausschließlich der örtlichen SS-Führung unterstanden.
Ermittlungen oft im Sande verlaufen
Im Distrikt Krakau führte dies dazu, daß zum einen in einzelnen größeren Ghettos eine Teilung in A- und B- Ghettos vorgenommen wurde, von denen in dem einen die „Arbeitsfähigen“ und im anderen die für „nichtproduktiv“ erklärten Juden bis zu ihrer Vernichtung leben mußten. Bei den Industriebetrieben sollte erreicht werden, daß die dort arbeitenden jüdischen Zwangsarbeiter entweder in Lagern zusammengefaßt wurden, die der SS unterstanden, oder aber auf dem Gelände der jeweiligen Rüstungsbetriebe unter die Herrschaft des deutsches Werkschutzes gerieten. Niemand wurde von Himmler im unklaren gelassen, daß auch diese Zwangsarbeiter zu „verschwinden“ hätten.
So entstand im Sommer 1942 in Rozwadow, einem kleinen Ort bei Nisko, ein kleines, dem SSPF in Krakau unterstelltes Zwangsarbeitslager. Lagerkommandant wurde Josef Schwammberger. Das Lager war etwa drei Kilometer vom Stahlwerk Stalowa Wola entfernt, das von den Hermann-Göring-Werken in Salzgitter „übernommen“ worden war. Die Lagerinsassen mußten täglich zu Fuß zum Stahlwerk gehen, wobei sie der Willkür der sie begleitenden „Hilfswilligen“ ausgeliefert waren.
Das Lager Rozwadow wurde im November 1942 aufgelöst und auf das Betriebsgelände des Stahlwerks verlegt. In Rozwadow wie auch während der Verlegung nach Stalowa Wola kam es, so wie es allgemein üblich war, zur „Selektion“ der Kranken und Arbeitsunfähigen: Sie wurden in der Umgebung erschossen. Spätere staatsanwaltschaftliche Ermittlungen über die in Rozwadow und in Stalowa Wola begangenen Verbrechen (im Stahlwerk in geringerem Umfang, da die Betriebsleitung ein Interesse am Erhalt ihrer Arbeitskräfte hatte), verliefen in den sechziger und siebziger Jahren aus unterschiedlichen Gründen immer wieder im Sande.
Der nun „beschäftigungslose“ Josef Schwammberger übernahm im Januar/Februar 1943 das A-Ghetto in Przemysl. Die Vorgänge in Przemysl waren Gegenstand mehrerer großer Strafverfahren in Hamburg, bei denen in den sechziger und siebziger Jahren eine Reihe gefaßter Täter verurteilt werden konnten. Nur einer fehlte, und das war der aus Österreich entflohene und nach Südamerika entkommene Kommandant des A-Ghettos: Josef Schwammberger. Nach der Auflösung der A- Ghettos 1943 und der Überführung der überlebenden jüdischen Zwangsarbeiter in andere Lager des Distrikts Krakau, übernahm der „erfahrene“ Kommandant das Zwangsarbeitslager Mielec, deren Insassen bei der dortigen Rüstungsindustrie arbeiteten. Über die in den Ghettos und Zwangsarbeitslagern herrschenden Verhältnisse spricht die Tatsache Bände, daß Schwammberger bei seiner Festnahme 1945 in Österreich Schmuck im Werte von 50.000 Reichsmark versteckt hatte. Der ihm drohenden Verurteilung entging er durch die Flucht: Mit Hilfe kirchlicher Organisationen fand er seinen Weg nach Südamerika. Wolfgang Scheffler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen