piwik no script img

Wunder gibt es immer wieder

■ Die »Esoterik & Gesundheitstage« präsentierten am Wochenende Heilsbotschaften, Selbstfindungsangebote und allerlei Wundersames im Logenhaus Emser Straße

Jasmin duftet besser als Schweißsocken. Sonnenstrahlen wecken die Lebensgeister. Edelsteine fühlen sich toll an und sehen gut aus. Freundliche Gesprächspartner sind weitaus angenehmer als notorische Miesepeter. Diese Erkenntnisse sind nicht unbedingt neu, aber für jeden nachvollziehbar. Wenn sich Esoterikkongresse damit begnügen würden, alte Weisheiten in neuem Gewand zu verkaufen, wären sie eine nützliche Angelegenheit. Doch die Meister, Gurus, Lehrer, Seher, Apostel und Visionäre stehen in harter Konkurrenz zueinander und übertreffen sich gegenseitig, dubiose Heilsbotschaften für die Seelen und Körper gepeinigter Wohlstandsbürger zu verkünden. Um die Wichtigkeit und Einmaligkeit ihrer Mission zu unterstreichen, werden geheimnisvolle Wortschöpfungen bemüht. Aus einer chinesischen Massagetechnik wird »Tibetan Pulsing«, aus einer Atemübung »Chakrabalancing«, aus einer Ganzkörpermassage »Esalen Massage«. Die Dozenten heißen natürlich nicht einfach Herr Müller oder Mrs. Smith, sondern beispielsweise »Naitauba-Avadhut Sat-Guru Da Love-Ananda Hridamayam«. Der Mann hat eine gewisse Ähnlichkeit mit John Denver und schrieb das Buch Das Knie des Lauschens. Wer zu faul ist zum Lesen, kann auch auf eine ganz einfache Art und Weise glücklich werden: durch den Erwerb eines schamanischen Amuletts. Ein Mondamulett hilft einem beim Dichten, ein Sonnenamulett besorgt eine neue Freundin oder einen neuen Freund, und ein Gerechtigkeitsamulett unterstützt den Träger bei Rechtsangelegenheiten — für 200 Mark ist das allemal preiswerter als ein Rechtsverdreher.

Die Messestände im Wilmersdorfer Logenhaus sind voller Überraschungen, die Wege zur Selbstfindung oft sehr kompliziert. Das »Biopal-Entspannungsset« (bringt die KI- Energie ins Lot!) ist ja noch leicht handhabbar: für 99,95 Mark bekommt der Kunde zwei Kupferstäbe, die er in den Händen halten soll. Die Stäbe sind mit einem dünnen Draht versehen, der zu einem Tuch führt. Der Delinquent liegt auf dem Tuch und fühlt sich wohl. Aber was tun mit dem blauen »Kristallkissen zur Entspannung«, wenn der Lappen gerade mal vier mal vier Zentimeter groß ist? Dafür ist das Etwas mit 20 Mark recht preiswert. »Nagchampa — den göttlichen Duft« gibt es als Räucherstäbchen für 6,90 Mark, einen Minibuddha aus Bronze zu 18 Mark.

Wer nicht materialistisch veranlagt ist, kann sein Schicksal aus Karten lesen lassen. Vor einer älteren Dame steht ein Schild: »Diese Augen sehen Ihre Zukunft«, darunter die Zeile »Hessens bekannte Seherin Marcia Henning«. Brigitte Diehl wirbt dagegen wenig lokalpatriotisch mit einem knappen »Woher? Wohin? Weshalb?« Der letzte Schrei ist es, sich gezielt an Kunden zu wenden, die ein Geldproblem haben, Menschen, die sich ihres Reichtums schämen und Rat suchen, wie sie ihren Geldekel loswerden. Geld als dynamisches Prinzip — die sinnvolle Energie des Geldes heißt ein Seminar, der Untertitel lautet Die Freiheit, Geld zu haben und Geld zu sein. Für Fortgeschrittene gibt es dann die Lektüre Wege zu Freiheit, Fluß und Überfluß oder einen vierzehntägigen Trainingsaufenthalt auf Lanzarote zur »Heilung eigener Verantwortung« für 4.490 Mark.

Elisa Ir. (?) Hoffmann-Jese, laut Selbstauskunft Medium, Heilerin, Seherin und weisende Künstlerin, hat eine neue Drucktechnik gefunden: »Dieser Brief an Sie wurde medial geschrieben« steht auf ihrem Handzettel, der für 300 Mark zu einem Seminar einlädt, das besonders Menschen aus den neuen Bundesländern anspricht. »Geld — ein Heilphänomen unserer Zeit« lautet dessen Titel. Wer Frau Hoffmann-Jese sein Geld gibt, ist gut dran, denn »Danach ist alles leichter und schöner«. Die Seherin bildet außerdem den zukünftigen Bundeskanzler und einige zukünftige Minister aus, die in Kürze die »Friedensregierung« übernehmen werden. Ruhig und friedlich geht es auch in der Lüneburger Heide zu. Ein siebentägiges »tiefenpsychologisches und ganzheitliches Intensiv-Seminar« kostet 1.200 Mark, inklusive Astro-Drama zum Thema »Was will der Mensch in der Natur?«. Dort »werden in Ihnen Stimmungen wach, und sie sagen Ihnen etwas über die Sehnsucht Ihrer Seele«. Stimmt. Im Sauerland heißt so etwas »Urlaub auf dem Bauernhof« und kostet inklusive Ponyreiten nicht einmal die Hälfte.

Diverse Vorträge ergänzen die Kongreßangebote zur Selbstfindung. Im Einstundenrhythmus geht es um Feuerlauf, Reinkarnation oder »Huna Vita — der siebenfache Weg des Friedens«. Obwohl der Veranstalter »Lightconnection« einen Pressereferenten und eine Pressereferentin beschäftigt, ist die Pressekonferenz zum Auftakt des Kongresses schlecht besucht. Um genau zu sein: die taz ist da und sonst niemand. Die Situation verrät viel über die innere Ruhe und Gelassenheit der Esoteriker: neun DozentInnen sitzen hinter Tischen, die zu der gängigen, kommunikationsfördernden U- Form zusammengeschoben sind, und referieren breit und ausladend, als ob die Veranstaltung live im Fernsehen übertragen würde und nicht ein einsamer Journalist über seinem Notizblock säße. Unter ihnen ist Paul Esch, der absolute Star des Kongresses. Esch ist ein kleiner, dünner Mann und grinst wie Jimmy Carter. Der Amerikaner ist Pastor und gilt als »Wunderapostel«. Er ist wohl der einzige Teilnehmer des Kongresses, der von sich behaupten kann, ein richtiger Esoteriker (griech.: in eine Geheimlehre Eingeweihter) zu sein. Es gibt viele Channels, spirituell Erleuchtete und Reinkarnationsmeister, aber Paul Esch verwandelt Zahnamalgam in Gold. Mr. Goldfinger benötigt dazu bloß eine Gitarre, jede Menge Zahnplomben, Zahnspangen und natürlich die dazugehörigen Münder, denn die Wunder funktionieren nur in lebendigen Organismen. Daß der Mann noch nicht entführt wurde, ist nur auf Schlamperei innerhalb der Mafia und deren Bruder- und Schwesterorganisationen zurückzuführen — oder sie trauen sich einfach nicht. Denn Paul Esch kann noch viel mehr: schiefstehende Zähne richten sich bei seinem Gesang wieder auf, ganze Zahnlücken verschwinden und machen neuen, gesunden Zähnen Platz. Esch ist außerdem ein sehr bescheidener Mann, er verlangt ganze 30 Mark Eintritt für seine Zahnshow. In Düsseldorf wurden eigens Zahnärzte gebeten, die Heilung der Patienten zu kontrollieren. Leider tat sich ausgerechnet bei diesen Menschen an diesem Abend nichts. Werner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen