: Paragraph 218
■ betr.: "Verrat an den Frauen" von Alice Schwartzer, taz vom 14.5.92
betr.: „Verrat an den Frauen“ von Alice Schwarzer, taz vom 14.5.92
Wieso streicht Alice Schwarzer einerseits „die Selbstbestimmung“ (welche denn und von wem?) als „Kern unserer (wessen? d.V.) Forderung“ heraus und bestimmt andererseits selbst und ganz allein und als selbsternanntes Sprachrohr aller Frauen, wie diese ihr eigenes Recht auf Selbstbestimmung wahrzunehmen haben?
Ich bin es leid, daß Feministinnen — ob nun fundamentalistische oder (pseudo)fortschrittliche oder kompromißbereite oder sich selbst als echt fortschrittlich definierende — sich permanent anmaßen, öffentlich zu proklamieren, worin mein ureigenstes Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bestehen soll! Mir ist es egal, ob Männer oder Frauen oder Eunuchen oder verhärmte alte Jungfern oder irgendein Wanderprediger im Glasauto mir vorschreiben, welche Haltung ich selbst zum Paragraphen 218 einnehmen soll!
Ich selbst erlaube mir unter jedem beliebigen Paragraphen 218, ungewollte Kinder nicht zu kriegen. Und da ich das gleiche Recht für alle Frauen unabhängig von ihrem Bildungsstand und ihrer materiellen Lage fordere, kann ich konsequenterweise nur für eine uneingeschränkte Fristenregelung ohne demütigende Zwangsberatung sein. Wenn dieses Ziel nur mit Zwischenschritten erreichbar ist, dann eben erst einmal eine Zwischenlösung. [...] Gerlind Heinze, Wuppertal
Der im Bundestag eingebrachte Kompromißantrag zum Paragraphen 218 ist — wie Alice Schwarzer sehr richtig analysiert — das Äußerste, was noch tragbar ist, und was noch als Verbesserung der jetzigen Regelung gelten kann — in Westdeutschland. Für die Frauen in den neuen Bundesländern ist sie allerdings bereits eine herbe Verschlechterung.
Aber: Wesentliche Ziele der Frauenbewegung sind mit diesem Kompromiß nicht erreicht. Der Paragraph 218 ist damit nicht aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Frauen machen sich also unter bestimmten Bedingungen immer noch strafbar, wenn sie eine Schwangerschaft abbrechen lassen, und werden mit bis zu drei Jahren Haft und Geldstrafen bedroht. Außerdem müssen sich die Frauen beraten lassen, ob sie wollen oder nicht. Diese Auflagen sind wesentliche Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts der Frauen.
Gerade diese Unzulänglichkeiten gilt es meiner Ansicht nach, über die Freude über eine Verbesserung der Situation nicht zu vergessen. Ich sehe in dem Verhalten einiger Abgeordneter eine gute Möglichkeit, diese Unzulänglichkeiten herauszustellen. Sie bleiben bei ihren Forderungen und unterzeichnen den Antrag nicht. Mangels einer besseren Alternative geben sie ihm dann aber in der Abstimmung doch ihre Stimme — und ich gehe davonaus und hoffe, daß sie dies tun. So kann dokumentiert werden, daß auch diesesmal wieder gegen den Willen einer Minderheit im Parlament das Selbstbestimmungsrecht der Frauen eingeschränkt wurde, und daß es sich lediglich um einen erfreulichen Zwischenschritt handeln kann auf dem Weg zu einer noch besseren Lösung. Es wäre ein Verlust für den Kampf gegen den Paragrapehn 218 in den nächsten Jahren, wenn alle Abgeordneten mit ihrer Unterschrift unter dem Antrag dokumentieren würden, daß sie diesen Kompromiß für die optimale Lösung hielten.
Vielleicht ist dies die letzte Reformmöglichkeit in diesem Jahrtausend (und daher sollte sie auch unbedingt genutzt werden). Dieses Jahrtausend dauert jedoch nur noch acht Jahre, und ich nehme stark an, daß auch danach die Politik nicht aufhört zu existieren. Wieso soll diese Reform denn die letztmögliche sein? Geht die Welt dann unter? Oder ist Alice Schwarzer dann keine Feministin mehr? Oder laufen die Politikerinnen, die diese Reform zwar mitverabschieden, aber nur für einen Zwischenschritt zur Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch halten, dann Gefahr, daß ihnen Allice Schwarzer endgültig ihre Liebe entzieht? Ich vermute, damit könnten die Politikerinnen leben. Susanne Offenbartl, Politikwissenschaftlerin, München
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