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NEU IN DER SCHAUBURG: „Life is sweet“ von Mike Leigh

Irgendwie haben sie alle eine Macke. Andy (Jim Broadbent), der proletarische Familenvater, ist zwar ein gutmütiger Kerl, aber so richtig kriegt er nichts auf die Reihe. Wendy (Alison Streadman), seine Gattin, ist eine hyperaktive, ewig plappernde Frau, die bei jeder Gelegenheit hysterisch losgackert. Auch die beiden grundverschiedenen Zwillinge Natalie und Nicola (Claire Skinner, Jane Horrocks) haben gewaltig einen an der Marmel. Natalie, die Klempnerin, lacht nie und zeigt auch sonst wenig Regungen. Dafür raucht das Schwesterchen Kette, ist magersüchtig mit den dazugehörenden nächtlichen Kotzorgien und rotzfrech.

Diese Arbeiterfamilie hat sich der englische Regisseur Mike Leigh in seinem OmU-Film Life is sweet ausgedacht. Der Mann kann beobachten und das Gesehene in Bilder umsetzen. Beinahe liebevoll beschreibt er die Unzulänglichkeiten seiner Prolo-Freaks, die in einem Reihenhaus am Stadtrand wohnen. Leigh will uns nicht die heile Welt eines Unterklasse-Mangellebens vorgaukeln — nach dem Motto, „uns geht's nicht rosig, aber wir kämpfen gegen das Establishment“. Zum Glück macht es sich der Regisseur nicht so leicht, denn mit real existierenden Arbeiter-Kampfmärchen verschont er uns.

Life is sweet ist eine feingezeichnete Ansammlung skurriler Alltäglichkeiten, die keine Geschichte erzählen will, sondern eine Zustandsbeschreibung bröckelnder Fassaden ist. Wenn der fette Hausfreund Aubrey (Timothy Spall) sein französisches Feinschmecker-Restaurant „The Regret Rien“ eröffnen will, kommt niemand, um sein Gourmetangebot „Schweinegeschwulst“, „Kaltes Hirn“ oder „Zunge mit Rhabarber“ wahrzunehmen. Dafür besäuft er sich und schlägt seinen Laden zu Schrott. Vater Andy bricht sich ein Bein und erntet schallendes Gelächter. Nicola läßt sich von ihrem Freund mit Erdnußbutter einschmieren, und dann abschlecken. Das Leben ist eben nicht süß, es ist verdammt hart. Und Mike Leigh balanciert dabei zwischen liebevoller Anteilnahme und offenem Ekel. Dieser Film ist genauso, wie deutsche RegisseurInnen ihn vor lauter Manierismus nie hinkriegen — falls Sie wissen, was ich meine. J.F.Sebastian

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