: „Schuld an allem sind nur die Drogen“
Kritische Aids-Forscher haben sich zum ersten alternativen „Internationalen Symposium Aids — A Different View“ in Amsterdam getroffen/ Der US-amerikanische Molekularbiologe Peter Duesberg fordert „eine Abkehr von Safer-Sex-Kampagnen“ ■ Von Cronette Silberstein
Vor acht Jahren präsentierte der US- amerikanische Virologe Robert Gallo der Weltöffentlichkeit den Schlüssel zur Heilung von Aids: den „Killer-Virus“ HIV. Und auch ein Impfstoff gegen Aids, so der Wissenschaftler damals, könne nun entwickelt werden. Aber bis heute gibt es noch keinen wirksamen Impfstoff. Und die Theorie, nur HIV verursache Aids, wird mehr und mehr in Zweifel gezogen — Ende vergangenen Jahres auch von Luc Montagnier, der 1983 in seinem Pariser Pasteur-Institut als erstes HIV isolierte. Dies sei die Stunde der Kritiker, meinte deshalb die unabhängige holländische Aids-Forschungsgruppe SAAO und lud am letzten Wochenende zum ersten alternativen „Internationalen Symposium Aids — A Different View“ nach Amsterdam ein. Etwa 200 WissenschaftlerInnen aus aller Welt folgten der Einladung, darunter auch Montagnier und sein schärfster Kritiker, der US-amerikanische Virologe Peter Duesberg.
Der französische Aids-Forscher Montagnier zeigte sich in seinem Vortrag vor allem unsicher über den weiteren Verlauf der Aids-Forschung, gab aber auch gravierende Fehler in der Vergangenheit zu. Er betrachtete es als verkürzt, HIV als alleinigen Auslöser von Aids zu sehen, denn mindestens „zehn Prozent der HIV-Patienten werden vielleicht nie daran sterben“. Und auch Beispiele von HIV-negativen Patienten, die an Aids-ähnlicher Immunschwäche leiden, wußte er, wenngleich als Ausnahmen, anzuführen.
Peter Duesberg, Professor für Molekularbiologie an der University of California in Berkeley, kritisiert seit fünf Jahren vehement die „HIV=Aids-Hypothese“ und wollte sich in Amsterdam auch mit Montagniers Eingeständnis nicht zufriedengeben. Da nach seiner Meinung vom HIV keinerlei biochemische Aktivität ausgeht und es zudem bei vielen Aids-Kranken nicht einmal isoliert werden kann, ist es, so Duesberg, „ungefährlich“. Was als Aids-Syndrom diskutiert wird, sei vielmehr eine Zusammenstellung von zwei Epidemien (die eine in Afrika, die andere in USA und Westeuropa) und etwa 25 opportunistischen Infektionen, deren Entstehen Duesberg auf den massiv angestiegenen Drogenkonsum in den siebziger Jahren verbunden mit Fehlernährung, Medikamentenmißbrauch wie Antibiotika als Dauermedizin, pestizidverseuchtem Obst und Gemüse und Umweltschädigungen zurückführt. Eine Billion Dollar für die Forschung und drei Billionen für Gesundheitsprogramme hinterließen ein Desaster: Herausgebildet habe sich eine „Aids-Mafia mit Tausenden von Lehrstühlen und Dozentenstellen“, ausgerichtet allein auf die falsche Hypothese von HIV als Aids-Erreger, flankiert von einem gesellschaftlich falsch vermittelten Bild eines sexuell übertragbaren „Killer-Virus“. Duesberg verallgemeinert daraus: „Hetero- und Homosexualität ist seit drei Millionen Jahren erprobt und bewährt, das können auch die Herren Gallo und Montagnier mit ihren Forschungen nicht verändern.“ Das Problem sei die Chemie — bei der Olympiade genauso wie im Bett.
Dem ersten Anti-Aids-Medikament AZT wirft Duesberg vor, das genaue Gegenteil dessen zu sein, was es bewirken soll: AZT zerstört die Kettenstruktur der DNA und schwächt so die Immunabwehr, zu deren Schutz es vorgeblich eingesetzt wird. Da HIV selbst bei verstorbenen Aids-Patienten in maximal einer von 500 Zellen nachgewiesen werden kann, AZT aber in seiner Zellzerstörung keinen Unterschied mache, würden ungleich mehr nicht- infizierte T-Helferzellen vernichtet, die aber andererseits gerade das Immunsystem ausmachen. Auch das Knochenmark werde angegriffen und so die Produktion neuer Helferzellen gestoppt. Die schweren Nebenwirkungen des AZT wie Übelkeit, völlige Lethargie und geistige Verwirrung gelten gleichermaßen als typische Anzeichen einer fortschreitenden Aids-Erkrankung. AZT ist bereits in den sechziger Jahren als Anti-Krebs-Mittel angeboten worden, nach wenigen Jahren jedoch wieder zurückgezogen, weil keinerlei positive Wirkung erzielt werden konnte. In der Aids-Therapie feiert es jetzt Wiederauferstehung und mit ihm die US-amerikanische Herstellerfirma Wellcome, dessen Bilanzen sich potenzierten.
Wenn Statistiken zu Beweiszwecken herangezogen werden, erhitzen sich die Gemüter. Kann nun bei 50 Prozent der Aids-Toten HIV nachgewiesen werden oder bei 90 Prozent oder gar 98 Prozent, wie der holländische Virologe Goudsmit meistbietend anführte. Stimmt nun die rückläufige Thailand-Statistik des Epidemologen Coutinho (ebenfalls Niederlande) oder die eher pessimistische von Peter Duesberg? Wie ist die zentralafrikanische Aids-Entwicklung wirklich? Auch Professor Washington aus Uganda konnte sich da nicht festlegen, und der Journalist Richard Mulando (ebenfalls Uganda) beschrieb, wie unmöglich es ist, gesicherte Informationen zu erhalten: Die einzige Alternative zu den politisch beeinflußten Regierungszahlen sind höchst selektive Untersuchungen aus den USA.
Entsprechend konnte natürlich auch nicht die Lösung aus der Tasche gezaubert werden. So stellte der Schwede Ingemar Kwame das gerade erschienene Buch des Ostberliner Molekularbiologen Jakob Segal vor, in dem dieser als „neuen Weg in der Aids-Therapie“ eine Behandlung im Frühstadium vorschlägt. Segal machte bereits 1986 mit der Theorie auf sich aufmerksam, HIV sei ein künstlich manipuliertes Virus, man- made durch den US-amerikanischen Geheimdienst CIA, eine Spur, zu der Kwame selbst in Kürze neue Beweise veröffentlichen will.
Aber so wie diese Präsentation, so war auch alles weitere mehr „auf den Markt geworfen“: Berichte über Anwendung chinesischer Medizin ebenso wie Akupunktur, Interleukin-Behandlung, homöopathische und naturheilkundliche oder hypnotische Behandlung, der Bericht über ein Hauspflegeprogramm in Rotterdam — oder auch die Schilderung des Präsidenten der Interamerikanischen Gesundheitsassoziation Luca- Moretti, der von einem seit sieben Jahren „erfolgreich“ verlaufenden Isolationsprojekt Intravenös-Aids- Kranker mit Sex- und Drogenverbot in Lateinamerika berichtete.
So „offen“ begreift sich eben dieser „alternative“ Aids-Blick, daß solche reaktionären Internierungsstrategien unwidersprochen Platz haben. Das kann eigentlich nicht verwundern, ist doch diese diskriminierende Sicht schon in Duesbergs Gedankengebäude angelegt: Schuld an Aids sind letztlich die Opfer selbst, deren vorgeblich ausschweifender Lebensstil als Grund ihrer Erkrankung angegeben wird.
Das Amsterdamer Treffen endete mit einem Eklat, den Duesberg auslöste. Für ihn ist das HIV-Virus ohnehin bedeutungslos und „Schuld an allem sind nur die Drogen“. Deshalb erklärte er alle Safer-Sex-Kampagnen für unsinnig, „weil Aids keinesfalls eine übertragbare Krankheit ist“. Dagegen protestierten sofort einige der namhaftesten TeilnehmerInnen des Kongresses, die sich in einer Presseerklärung von ihm distanzierten und Safer Sex als „unsere wichtigste Waffe im Kampf gegen Aids“ hervorhoben. Daraufhin gerieten Duesberg und seine Anhänger so in Rage, daß der Kongreß mehrmals unterbrochen werden mußte. Was bleibt, ist der fahle Nachgeschmack einer bewußten Provokation, den Medienwert der Veranstaltung durch die klare Absage an Safer Sex aufzuputschen.
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