NOTIZEN ZUR STIMMUNGSLAGE DER NATION — TEIL III: „Wenn der dümmste Pfälzer stirbt ...“
Die Malocher auf dem Weg zur BASF fühlen sich als „Geldbeutel der Welt“ um ihren Wohlstand betrogen ■ Auf den Schienen Bascha Mika
Da sitzen sie morgens im Zug nach Ludwigshafen und machen sich so ihre Gedanken, wie es denn werden soll in Deutschland. Sie sind auf dem Weg zur Schicht; hinter den Werkstoren des Chemieriesen BASF machen sie täglich die Drecksarbeit. Da denkt man, wer zuständig ist für das Grobe, der kommt auch mit derben Worten, wenn er mal richtig loslegt. Aber die Malocher fluchen nicht und schimpfen nur verhalten, wenn sie sich ihre Situation vornehmen. Frustriert sind sie — und das ist eigentlich viel schlimmer.
„Ne, das Wahre ist das nich. Durch die DDR, wo wir jetzt dazugekriegt haben, und die Preise steigen, und so viel Lohn kriegt man auch nicht mehr.“ Der das sagt, ist Anfang 20. Aber das ist nicht so wichtig, denn ums Geld geht's allen. Daß man früher für 60 Mark das Auto volltanken konnte, rechnen sie vor, und man jetzt 80 bis 100 Mark für den Sprit hinlegen muß. Und die Fahrkarten werden teurer und die Lebensmittel, die Mieten sind überhaupt nicht mehr zu bezahlen und die ... Gar nicht mehr aufhören wollen sie mit der Aufzählung, was ihren Lohn auffrißt und was ihnen Bonn zusätzlich aufdrückt: erhöhte Arbeitslosenversicherung, Solidaritätsabgaben. An finstersten Frühkapitalismus fühlt man sich erinnert, wenn sie so reden: der Arbeiter — von Staat und Unternehmer ausgesaugt bis aufs Blut.
Die wirtschaftliche Situation ist „am kippen“, da sind sie sich einig. Nur ein Fernmeldetechniker wirft vorsichtig ein, daß die 50er Jahre noch schlimmer gewesen seien. „Die Auftragslage ist doch mies“, entgegnen seine Kollegen. „Alle Aufträge gehen in den Osten. In Schwarzheide, in der DDR, investiert die BASF mehr als bei uns. Uns werden nur Arbeitsplätze gestrichen.“ 6.000 will der Chemiegigant abbauen; für jeden, der vorzeitig in den Ruhestand geht, wird kein Neuer eingestellt; Lehrlinge werden überhaupt nicht oder nur berufsfremd übernommen. „Deswegen sind die Jungen besonders sauer“, erzählen sie, aber unzufrieden seien im Werk eigentlich alle. Deswegen finden sie die Streiks auch richtig, selbst wenn die Unternehmer bei den Tarifverhandlungen immer schwarzmalen würden. „Der kleine Mann muß schließlich auch sein Geld verdienen.“
„Wir Deutschen sind doch der Geldbeutel der Welt“, regt sich ein Produkteveredler auf. „Egal wo Krieg ist, am Ende sind wir dran, wenn es um den Wiederaufbau geht. Die andere lache sich ins Fäustchen, und wir dürfe zahle.“ Auf der Suche nach den Schuldigen machen sie noch weitere Übeltäter dingfest: Auf Ausländer und Asylsuchende ist ihr Braß am größten, und ein Rezept haben sie auch: Einfach niemand mehr reinlassen, denn „wenn ein Türke kommt, bringt er 20 andere mit“. Das Asylverfahren müßte schneller gehen, damit „die Asylanten uns nicht auf der Tasche liegen“. Dann würde auch die Kriminalität wieder zurückgehen, denn an den meisten Verbrechen seien doch Ausländer und Asylanten beteiligt.
Wenn es um die Politiker in Bonn geht, winken sie nur ab. Verschaukelt fühlen sie sich; kein Wunder, meinen sie, wenn die Braunen wiederkämen. „Die in Bonn steigen ins Flugzeug und nehmen unsere Milliarden mit, um sie zu verschenken. Statt erst mal dafür zu sorgen, daß es uns gut geht.“ Vor allem auf Kohl ist keiner gut zu sprechen. „Wenn der Kohl den Mund aufmacht, glaub' ich nichts mehr“, sagt ein ungelernter Arbeiter. Der wird abgewählt — davon sind alle überzeugt, auch wenn sie im Grunde nicht glauben, daß es irgendeine der anderen Parteien besser machen kann. Aber Kohl muß weg! „Wissen Sie“, grinst einer vom Schwertransport, „wir haben da einen schönen Witz: Was ist, wenn der dümmste Pfälzer stirbt? Dann brauchen wir einen neuen Bundeskanzler!“
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