piwik no script img

Gedächtnisschwund im Prozeß

■ Kein Zeuge konnte sich erinnern/ Angeklagte im »Tschetschenen-Prozeß« waren Mittelsmänner

Berlin.Wie ein Kartenhaus brach gestern nach siebenstündiger Verhandlung ein Prozeß vor dem Landgericht zusammen. Zum ersten Mal standen zwei Männer vor dem Kadi, denen zur Last gelegt wurde, Mitglieder einer Erpresserbande namens »Moscow Tschetschenen Community« (M. T. C.) zu sein. Als Bandenmitglieder, so die Anklage, seien die beiden daran beteiligt gewesen, exilrussische Geschäftsleute aus der Im- und Exportbranche zu erpressen. Die vier Zeugen, welche das Gericht befragte, konnten sich aber entweder nicht mehr daran erinnern, daß die Angeklagten an der Erpressung beteiligt gewesen waren, oder hielten alle früheren Aussagen für »Mißverständnisse«. Die »Mißverständnisse« bezahlten die beiden Tschetschenen mit je zehn Monaten Untersuchungshaft. Ousman A. kann jetzt eine Haftentschädigung einklagen; die Untersuchungshaft von Magomed M. wird gegen den Straftatbestand des unerlaubten Waffenbesitzes und des Benützens falscher Papiere aufgerechnet.

Die Anklage stützte sich im wesentlichen auf die Aussage und Anzeige eines jüdischen Emigranten, dessen Frau seit Jahren ein Geschäft in Charlottenburg betreibt. Er sei, so hatte er es der ermittelnden Staatsanwältin erzählt, zwischen Juni 1990 und Juli 1991 von der M. T. C. um 100.000 Mark erpreßt worden. Der Kopf der Bande sei ein gewisser »Said« gewesen, die Angeklagten Mittelsmänner.

Mehrfach sei ihm gedroht worden, daß die Bande ihn umbringen werde, wenn er nicht zahle. Auch sein Schwager gab den Ermittlungsbehörden an, mit dem Tode bedroht worden zu sein.

Gestern vor Gericht sah die Geschichte ganz anders aus. Der Schwager und die Ehefrau des Hauptbelastungszeugen zogen sämtliche Vorwürfe gegen die Angeklagten zurück. Sie seien zwar erpreßt und auch bedroht worden, aber nie von den beiden Tschetschenen, sondern von »Said«, der jetzt angeblich in Moskau sei. Mit dem Angeklagten Magomed M. sei man zudem beinahe befreundet.

Angezeigt worden sei dieser nur, um die Polizei in Sachen »Said« in Bewegung zu bringen. Für eine Überraschung sorgte dann der Hauptzeuge, das Erpresseropfer. Er könne nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit aussagen, da er Repressalien von »Saids« Freunden befürchte. Statt der urpsrünglich erwarteten Enthüllung aber, sagte Richter Föhrig, »schwächte er in höchst interessanter Weise alle Vorwürfe so ab, so daß mit einem »prozessualen Ergebnis« wohl nicht zu rechnen ist. aku

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen