: Eine Testosteron-Fiesta
■ Mit dem sinkenden Stern der New Yorker Avantgarde, Laurie Anderson, sprachen Waltraud Schwabund Angela Gobelin über das Problem einer Künstlerin, die lieber Terroristin wäre als deren Opfer
Laurie Anderson gehört zu den intellektuellen Leitfiguren der achtziger Jahre: Mit ihren surrealen Dialogen und minimalistischen Hymnen etablierte sie sich als Star zwischen Audimax und Schallplattenindustrie. Eine Frau mit schnellen Augen und einem nicht schwer zu lesenden Gesicht, ein bißchen distanziert, dann wieder herzlich, androgyn allemal: eine Leitfigur für die Jungakademiker(innen) Europas, die fasziniert aus dunklen Sälen zu jener Frau aufsahen, die durch den „Vocoder“ mit einer Männerstimme sprach. Sie entdeckte das rituelle Potential der technischen Medien und markierte den kreativen Umgang damit als postmodernes Zwischenreich, in dem die Poesie das Denken in politischen Kategorien altmodisch erscheinen ließ. Ihr Amerika war unser Amerika.
Amerika ist ihr Thema geblieben, aber die Musik hat sie verlassen wie ein guter Geist. Mit ihrer Show „Halcion Days. Stories from the Nerve Bible“ langweilte sie vor zehn Tagen ihr Publikum in Berlin und zur Zeit das in Frankfurt. Das Thema ihres Dauervortrags, geschmückt mit Spuren jener Performances, die sie bekannt gemacht haben, war Amerika und der Golfkrieg. „Insgesamt bleibt der Eindruck, Anderson versammelt Versatzstücke der Realität, denen sie verzweifelt versucht, ihre Banalität zu nehmen. In der Erinnerung bleibt das Banale“, schrieb unser Berliner Rezensent. In der Kürze eines Interviews, vor kurzem geführt in einem kleinen Hotel in der (West-)Berliner Innenstadt, liest sich Andersons Golfkriegs-Resümee als aufschlußreiches Krisenbekenntnis einer Künstlerin, von der das Fernsehen viel gelernt hat. Außerdem hat sie ein Coming-out: Anderson hat zur Frauenbewegung gefunden und ist dabei glücklich wie Christa Wolfs Cassandra. taz
taz: Sie sagten, die Kriegsberichterstattung des Golfkriegs auf CNN habe Sie über Kunst nachdenken lassen. Wie?
Laurie Anderson: Vor meinen Augen wurde eine ganz neue Kunstform zur Darstellung eines Krieges erfunden: mit Musik untermalt, mit Grafiken und einem Standpunkt versehen und mit einem Vertriebssystem ausgestattet. Alles, was zur Popkultur und deren Vermarktung gehört, war da. Ich fragte mich, was der Unterschied zwischen diesem Krieg und Kunst ist, aber ich habe kaum Unterschiede finden können. Mir als sogenannter Multimediakünstlerin wurde ein Krieg als Multimediashow vorgeführt, die wie eine Multimediashow endet. Als Reaktion darauf habe ich etwas ganz Einfaches gemacht, nämlich gesprochen. Die können das ganze technische Zeug benutzen, aber ich weiß, wie man Worte einsetzt. Mein StückVoices from the beyond ist ein drei Stunden langer Vortrag. „Was ist Unterhaltung?“ ist eine der Fragen, denen ich nachgehe, was ist Kunst, was ist Propaganda, was ist Information? Die Antworten darauf sind nie endgültig.
Für Ihre künstlerische Arbeit benutzen Sie die gleiche technische Ausrüstung, um eine Fiktion herzustellen, wie sie auch zur fiktiven Präsentation des Golfkriegs benutzt wurde. Wie gehen Sie damit um?
Fiktion? — Wart mal — jedes einzelne Wort, das ich da sage, ist wahr! — Okay, ich mag technisches Equipment, und nachdem ich ein Jahr lang in Voices from the beyond quasi nur gesprochen habe, dachte ich, ich könnte ja doch ein Video benutzen. Bilder können sprechen. Und in Null Komma nichts hatte ich plötzlich 15 Maschinen eingebaut, wo eigentlich keine sein sollte. Sie fragen mich, wie ich es rechtfertigen kann, all diese Maschinen zu benutzen, um eine Fiktion herzustellen, wenn High-Tech auch im Krieg benutzt wird für sogenannte Informationsverbreitung —
— und, soweit wir wissen, um im voraus Bilder herzustellen von einem Krieg.
Natürlich war es eine totale Fiktion. Ich hatte den Eindruck, daß es kalkulierte Propaganda war, die den Leuten das Gefühl geben sollte, daß es sich bei diesem Krieg um eine Art Unterhaltung handelte. Einer der Unterhaltungsaspekte war ein politisch-sexueller. Was in Amerika am meisten diskutiert wurde, war George Bushs Potenz. Ist er Manns genug, diesen Krieg zu führen. Ist er Macho genug dafür, oder ist er ein Feigling? Das Ganze war eine Testosteron-Fiesta.
Was kritisieren Sie an der Kriegsberichterstattung genau?
Es ärgert mich, daß ich für ein Ereignis bezahlen und Verantwortung übernehmen muß, das uns nicht in einer Weise präsentiert wurde, daß wir darüber hätten nachdenken könne und uns dafür oder dagegen entscheiden.
Die Art, wie es präsentiert wurde, spielte also die größte Rolle?
Nein, natürlicn nicht. Die wichtigste Rolle spielt die Tatsache, daß sehr viele Leute dabei umgekommen sind. Daß der Krieg für die Amerikaner Entertainment war, kommt erst in zweiter Linie. Obwohl wir unterhalten wurden und das Ganze als ökonomisches Spektakel aufgefaßt wurde, bei dem herauskam, daß die amerikanische Technik funktioniert, wo wir immer geglaubt haben, sie funktioniere nicht. Hat ja in Wirklichkeit auch nicht funktioniert. Ein anderer wichtiger Faktor war der Schuldkomplex. Es ging darum, das Schuldgefühl des Vietnamkrieges irgendwie loszuwerden. Es war nicht klar wie, aber irgendwie eben. Die Amerikaner wollen gewinnen. Solange du nicht die Nummer eins bist, bist du nichts.
Was haben Sie während des Golfkriegs gemacht, außer Ihre Ausrüstung auf Flughäfen aus- und einzupacken, wie Sie in Ihrer Performance „Halcion Days“ erzählen. Haben Sie demonstriert, Kasernen blockiert wie Künstler hier?
Ich war in Barcelona auf der „Art Futuro“, einer Konferenz über virtuelle Realität und verschiedene neue Videokunstformen. Dort habe ich auch an Demonstrationen teilgenommen. Viele Spanier waren dagegen, daß ihr Land vom amerikanischen Militär als Tankstelle auf dem Weg nach Bagdad benutzt wurde. Als ich Barcelona verließ, habe ich von der US-Botschaft eine Liste mit Tips ausgehändigt bekommen, wie sich Amerikaner auf ausländischen Flughäfen verhalten sollen. „Tragen Sie keine Baseballmütze, tragen sie kein Sweatshirt, auf dem der Name einer amerikanischen Universität steht, kauen Sie keinen Kaugummi, schreien Sie nicht so auf die Art ,Los Leute, unser Flugzeug startet!‘.“ Es ist merkwürdig, wenn plötzlich alles, was unsere Kultur prägt, nur noch unter dem Aspekt gesehen wird, ob es uns als Amerikaner entlarven könnte. Ich schaute an mir runter und trug eine Baseballmütze, kaute Kaugummi, trug Turnschuhe und merkte plötzlich, daß ich die einzige war, und wenn da Terroristen gewesen wären. — Sie wissen doch, wie das war: Die Leute hatten Angst, daß der Krieg zu etwas ganz anderem wird. Und seit die Konstellation in zwei Blöcke nicht mehr existiert, merkt man plötzlich, daß die Angst trotzdem geblieben ist. Sie hat einfach nur ein anderes Gesicht bekommen. Jetzt heißt es nicht mehr, Amerikaner haben Angst vor den Russen, jetzt heißt es eben, sie haben Angst vor den Schwarzen, oder sie haben Angst vor Frauen. Sie werden immer vor etwas Angst haben, und sie werden immer versuchen, ihre Macht auszuüben über etwas oder jemanden. Und ich denke, daß selbst der winzigste Beitrag, den ich für eine andere Welt leisten kann, darin liegt, herauszufinden und festzustellen, wie Menschen gegenseitig Druck aufeinander ausüben. Es geht nicht so sehr darum, es zu ändern, sondern vielmehr darum, es zu verstehen. Bernadette Deflin — Sie wissen, wen ich meine?
Die irische Bürgerrechtlerin —
— kam in unsere Frauengruppe, die Women's Action Coalition, die vor zweieinhalb Monaten in New York als Reaktion auf die Sexprozesse — Clearence Thomas, William Smith, Mike Tyson, ein ganzes Baseballteam — gegründet wurde. Wahnsinnig viel Wut hat sich aufgestaut. Wir wollen nicht nur darüber sprechen, sondern auch was dagegen tun. Wir wollen zu Vergewaltigungsprozessen gehen, und wir machen Demonstrationen, und wir schreiben und treffen uns mit anderen Frauen. Es ist aufregend. Frauen verhalten sich wirklich anders, wenn keine Männer dabei sind. Also Bernadette Deflin kam zu uns und sprach über die Zukunft. Sie sagte: „Wenn es euch egal ist, was in der Welt passiert, dann versucht nicht, irgendwas über die wahren Zusammenhänge rauszukriegen. Wenn ihr es einmal rausgekriegt habt, dann werdet ihr es nie mehr vergessen.“
In Ihrer Performance sprechen Sie religiösen Fundamentalismus an, jedoch nicht im Hinblick auf die Auswirkungen beispielsweise auf Frauen. Wie ist der Zusammenhang zwischen Ihrer künstlerischen Arbeit und Ihrer Arbeit in der Women's Action Coalition?
Es spielte eine große Rolle in der Arbeit, die ich letztes Jahr gemacht habe, den Essays und Scripts. In Halcion Days kommt das nicht vor. Als ich an Fundamentalisten dachte, dann an deren Zeitwahrnehmung, deren hysterische Reaktion, was die Zukunft angeht. Immerhin glauben 42Prozent aller Amerikaner, daß sie im Jahr 2000 mit Haut und Haaren aus ihren Autos oder Häusern gen Himmel gezogen werden. Sie sind wie hypnotisiert. Sie glauben das wirklich. Es ist nicht meine Aufgabe, mich darüber lustig zu machen. Es ist meine Aufgabe, festzustellen, daß Leute sich danach sehnen, hier raus zu kommen, und ich habe große Sympathien dafür, weil ich auch gerne aus dem Ganzen raus kommen möchte. Nur daß ich es auf eine ganz andere Art tue. Deshalb habe ich in Halcion Days so viele vertikale Bilder benutzt. Es ist eine viel stärkere Richtung, Höhe, Höhe, in die Höhe gehen.
Sie sagen, die Leute seien hypnotisiert. Sind Sie es nicht auch? Vielleicht durch die Kunst selbst? Manchmal kleben Kunstschaffende in einer Kunstwelt und nicht in einer normalen Welt. Oder können Sie diese beiden Ansätze trennen?
Es ist mir nie besonders gut gelungen, zwischen Kunst und Leben zu trennen. Ich sehe darin keinen Sinn. Außerdem interpretieren wir das Wort „normal“ verschieden. Hier benutzt man „normal“ so, wie ich es nicht verstehe. Ich glaube, daß das Wort in Deutschland irgendwie positiv besetzt ist, und zwar als etwas, das auf Regeln und auf eine Vernunft verweist, die hinter dem absichtlichen Tun steckt. Aber so höre ich das Wort nicht, und deshalb weiß ich nicht, was Sie meinen, wenn sie „normal“ sagen.
Was hypnotisiert Sie? Was bedeutet es für Sie, Künstlerin zu sein? Gehen Sie die Straße entlang, sehen Sie ein gelbes Auto, denken sie: „Oh, ich kann darüber eine Geschichte machen in meiner nächsten Performance?“
Ja, genau so geht das. So sehe ich die Welt. Alle sind hypnotisiert. JournalistInnen sind auf der Suche nach einem Standpunkt oder auf der Suche nach Stories. AutorInnen suchen nach Auflösungen ihrer Geschichten und vergessen dabei einfach die langweiligen Tage. Ich aber interessiere mich für die langweiligen Tage, für Atmosphären und für Details. Ein gelbes Auto, natürlich!
Sie sagten, Terroristen seien die wirklichen Künstler, weil nur sie Veränderungen bewirken können. War es ein Schock für Sie das herauszufinden, oder sind Sie ein „Gorilla Girl“?
Gorilla Girls reden nicht. Das weiß doch jeder. Es gibt nicht viele KünstlerInnen, die für Überraschungen gut sind. Okay, keine Bombe auf dem Flughafen — Terroristen haben ja nicht gerade die angenehmsten Überraschungen parat. Man weiß, was man von ihnen zu erwarten hat, Terror eben, Ärger.
Ist Terror eine Art Kunst oder nicht?
Das kommt auf die Terroristen an. Alles kann Kunst sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen